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Dankbarkeit ist keine politische Kategorie, zuletzt gesehen bei der Entlassung von Deutschlands Umweltminister Norbert Röttgen. Der vermeintliche Kronprinz für den Kanzlerthron, das liberale Aushängeschild der CDU, der Wegbereiter für Schwarz-Grün - Schnee von gestern im Angesicht eines Wahldebakels. Kanzlerin Angela Merkel zog nach dem schlechtesten Ergebnis in der Geschichte der CDU bei Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, das Röttgen als Spitzenkandidat zu verantworten hatte, die Reißleine. Im Handstreich setzte sie den amtierenden Umweltminister am Mittwoch vor die Türe. Um ihre eigene Macht zu sichern. Vorerst.
Die Kanzlerin ist alles andere als unschuldig an dem Desaster. Seit März sah sie zu, wie sich Röttgen um eine Antwort drückte, ob er auch als Wahlverlierer in den Düsseldorfer Landtag einziehen werde oder auf die Berliner Regierungsbank zurückkehrt. Die nunmehrige Ablöse ihres Vertrauten ist auch ein spätes Schuldeingeständnis von Merkel, die sich einen Verlierer im Kabinett nicht leisten konnte und wollte.
Abhaken und vorwärtsblicken, lautet ihre Devise. Nun übernimmt Peter Altmaier das Ruder im Umweltministerium: ein frankophiler Genussmensch, klug, ehrgeizig, fair - und ohne Fachkompetenz für das schwergewichtige Ressort. Der Saarländer muss die von Merkel ausgerufene Energiewende vorantreiben; die Stilllegung von acht Atomkraftwerken im Zuge der Fukushima-Katastrophe erfordert den weiteren Ausbau erneurbarer Energien. Gleichzeitig geht der Aufbau der Windekraft schleppend voran, wandert die Produktion im einstigen Solar-Weltmeisterland aus Kostengründen nach China ab. Vorgänger Röttgen konnte zuletzt nicht einmal die Kürzung der Solarförderung gegenüber denen eigenen CDU-Bundesräten durchsetzen.
Die zumindest bei den Konservativen gut geölte Regierungsmaschine ist ins Stocken geraten. Noch schlimmer für die kühle Machttechnokratin Merkel ist der Autoritätsverlust der vergangenen Tage. Mit seiner Brandrede gegen Röttgen in einem TV-Interview nahm CSU-Chef Horst Seehofer das Heft in die Hand - und das Scheitern Röttgens voraus.
Es ist eine fatale Flucht nach vorne für Angela Merkel: Indem sie Seehofers Begehr nachkam, signalisierte sie Schwäche über ihren eigenen Kurs. Noch am Montag verkündete ihr Regierungssprecher den Verbleib Röttgens, erst nach der Ausstrahlung des Interviews mit Seehofer folgte der Rausschmiss. Die so souverän wirkende Kanzlerin demonstriert damit Schwäche. In der lange von katholischen Männern geprägten CDU, in der die protestantische Pfarrerstochter nie geliebt, höchstens respektiert wurde, könnte das der Anfang vom Ende sein.