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"Demokratie lebt vom Wechsel", sagte Angela Merkel 2016 beim Besuch des scheidenden US-Präsidenten Barack Obama. Für den Demokraten war nach acht Jahren Schluss, die US-Verfassung sieht für den Präsidenten nur zwei Amtsperioden vor. Deutsche Kanzler unterliegen dieser Einschränkung nicht. Entweder sie verfügen über die Weisheit, ihren Abgang selbst zu bestimmen. Das zählt zu den schwierigsten Aufgaben eines Politikers. Oder sie werden von Partei oder Volk demontiert, was für Machtmenschen zu den grausamsten Erfahrungen gehört.
Seit zwölf Jahren residiert Angela Merkel bereits im Berliner Kanzleramt, derzeit geschäftsführend. Statt auf eine Minderheitsregierung zu setzen oder dass die SPD doch umfällt und eine große Koalition eingeht, wirbt sie nun offensiv für Neuwahlen. Setzt sich Merkel dann durch und bildet eine tragfähige Mehrheit, könnte sie den Rekord von "Wendekanzler" Helmut Kohl einstellen, der 16 Jahre amtierte.
Kohl konnte und wollte nicht vom Amt lassen, er wurde abgewählt. Auch Merkel quält sich seit längerem durch ihre Kanzlerschaft. Bereits im November vergangenen Jahres wirkte sie blutleer und abgekämpft, als sie sich offiziell um eine vierte Amtszeit bewarb. Zwar blitzte im Wahlkampf ihr Kampfgeist auf, als sie im Osten der Republik dem ausländerfeindlichen Mob bei Veranstaltungen offensiv entgegentrat. Doch spätestens die Niederlage bei der Wahl im September mit einem Minus von 8,6 Prozentpunkten für CDU/CSU zeigte, dass die Bürger der Langzeit-Regierungschefin müde sind.
Das hat nicht nur mit der Flüchtlingspolitik zu tun, sondern auch mit dem Wunsch nach Veränderung, der die Wähler von Zeit zu Zeit befällt. Um sich zu halten, muss Merkel aber mehr tun, als darauf zu hoffen, dass ihre Konkurrenten so inferior sind wie SPD-Chef Martin Schulz. Erst recht gilt das in einer von Unsicherheit geprägten Zeit, in der ihr Politikstil aus der Mode gekommen ist. Die Bürger wollen klare Kante. Und keine inhaltliche Leere. Doch selbst bei den Jamaika-Sondierungen - bei denen die Basis für vier Jahre des Regierens gelegt werden sollte - wusste niemand, was Merkels CDU will. Ganz im Gegensatz zu CSU, FDP und Grünen. Auch als Moderatorin der Sondierungen hat die Kanzlerin versagt, sie konnte den Parteien nicht klarmachen, was auf dem Spiel steht. Wer wird Angela Merkel sagen, dass es Zeit ist zu gehen?