Die umstrittene Flüchtlingspolitik der deutschen Kanzlerin ist alles beherrschendes Thema bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Taktisches Absetzen von Merkel belohnen die Wähler aber nicht.
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Wien. Erfolglose Landespolitiker delegieren nach Wahlniederlagen gerne die Verantwortung auf "bundespolitische Faktoren". Tatsächlich dominiert derzeit ein Thema: die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Die drei Landtagswahlen in den südwestlichen Bundesländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie im ostdeutschen Sachsen-Anhalt am Sonntag mutieren zum Votum über die Kanzlerin - dabei differieren die regionalen Voraussetzungen und Spezifika erheblich.
Drei Länder, drei verschiedene Koalitionen
58 Jahre stellte die CDU in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten. Bei der Wahl 2011 stürzte sie über ihre eigene Arroganz, den Bürgerprotest über den geplanten Riesenbahnhof Stuttgart 21 und ihre AKW-Beharrlichkeit trotz der Fukushima-Katastrophe. Mit Winfried Kretschmann steht der erste Grüne in der Geschichte der BRD einer Landesregierung vor; er regiert mit der SPD. Geschickt inszeniert sich Kretschmann als Landesvater, daneben verblasst sein sozialdemokratischer Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid. Lagen Grün und Rot 2011 noch auf Augenhöhe (24,2 zu 23,1 Prozent), trennen beide Parteien mittlerweile mehr als 20 Prozentpunkte (33,5 zu 12,5 Prozent laut Umfrage). Grün-Rot hat aufgrund des nahenden SPD-Debakels keine Mehrheit. Auch die CDU ist ein Schatten ihrer selbst, könnte im Südwesten erstmals nicht stimmenstärkste Partei werden.
Umgekehrt ist die Lage in Rheinland-Pfalz. Dort schickt sich Julia Klöckner (CDU) an, die Sozialdemokraten erstmals seit 1991 von der Regierungsspitze zu verdrängen. Einst als Weinkönigin belächelt, fordert die 43-Jährige Ministerpräsidentin Malu Dreyer heraus - dass zwei Frauen um die Landesspitze kämpfen, ist wiederum ein Unikat. Dreyers hohe Popularitätswerte halten die skandalträchtige Landes-SPD - unter anderem gab es ein Finanzdebakel um einen Freizeitpark - im Rennen um Platz eins liegen SPD und CDU mit 35 Prozent gleichauf. Derzeit erreichen weder Rot-Grün noch die Konservativen mit der liberalen FDP eine Mehrheit. Bleibt es dabei, würde Rheinland-Pfalz erstmals schwarz-rot oder rot-schwarz regiert werden.
Diese Erfahrung kennt Reiner Haseloff bereits seit fünf Jahren. Der CDU-Politiker führt seit 2011 eine schwarz-rote Regierung in Magdeburg an, und alles deutet auf eine Fortsetzung hin. Allerdings sind die im Osten generell strukturschwachen Sozialdemokraten nur drittstärkste Kraft hinter der Linkspartei. Nun werden sie wohl auch von der Alternative für Deutschland (AfD) überholt.
Von "Klappe halten" zu "Plan A2"
"Einfach mal die Klappe halten." Das empfahl Klöckner noch Mitte Jänner den parteiinternen Kritikern von Merkels Flüchtlingspolitik, insbesondere der bayerischen Schwesterpartei CSU. Je länger Merkels angestrebte europäische Lösung der Krise dauerte, je mehr nationale Alleingängen starteten, desto ungeduldiger wurde die stellvertretende Parteivorsitzende. Erst legte Klöckner einen "Plan A2" vor, der Grenzzentren, Hotspots und tagesaktuelle Flüchtlingskontingente beinhaltete. Als Österreich im Februar eine Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik vornahm, forderte Klöckner in einer Erklärung "nationale Maßnahmen" ebenfalls in Deutschland ein - und mit ihr Baden-Württembergs CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf.
Gut getan hat das beiden nicht. Dass die Kanzlerin nicht erfreut war, können die beiden Wahlkämpfer leicht verschmerzen. Doch auch die Wähler goutierten den Zickzackkurs nicht. Wer prononcierte Merkel-Kritik will, geht gleich zur AfD: So rutscht Klöckners CDU, 2015 noch konstant über der 40-Prozent-Marke, sukzessive ab, während die AfD zulegt. Noch schlimmer ist die Lage in Baden-Württemberg: Spitzenkandidat Wolf kommt nicht gut an. Der Grüne Kretschmann "betet" hingegen für die Gesundheit der Kanzlerin und saugt so einen Gutteil des Merkel-freundlichen Lagers in der CDU ab. 51 Prozent der CDU-Anhänger sprachen sich gegen Wolfs Abgrenzung von Merkel aus.
Sachsen-Anhalts Haseloff schloss sich der Erklärung von Klöckner und Wolf nicht an. Nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil er keinen Koalitionskrach mit der SPD haben wollte. Bereits im vergangenen Herbst forderte der Regierungschef eine "Integrations-Obergrenze" von 12.000 Flüchtlingen pro Jahr in seinem Bundesland. Zwar legte die AfD auch in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Monaten deutlich zu, Haseloff bleibt aber recht stabil um 30 Prozent.
Die AfD bleibt trotz ihres Erfolges isoliert
19 Prozent werden der Alternative für Deutschland in Sachsen-Anhalt vorausgesagt. Jeder zehnte Bürger dort ist arbeitslos (deutschlandweit 6,9 Prozent), das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur 85 Prozent des Bundesschnitts und gut Ausgebildete - insbesondere Frauen - wandern weiter ab. Zurück bleiben oft junge, wenig gebildete Männer, die anfällig für Protestparteien sind. Schon in den 1990ern reüssierte die DVU, in den Nullerjahren zog die "Schill-Partei" in den Landtag ein, 2011 erreichte die rechtsextreme NPD 4,6 Prozent.
Die AfD mischt bürgerliche Versatzstücke mit Ressentiments, je nach Publikum wohldosiert. Daher ist sie auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg für enttäuschte Konservative wählbar. "Merkel schadet Deutschland", sagte AfD-Vize Alexander Gauland jüngst - früher selbst jahrzehntelang CDU-Mitglied. Bloß nicht an der AfD anstreifen, ist die Devise der anderen Parteien. SPD und Grüne verweigerten im Wahlkampf zwischenzeitlich sogar das Gespräch mit den AfD-Spitzenkandidaten. Sie schließen ebenso wie die CDU eine Koalition mit der AfD kategorisch aus.
Genussvoll weidete die AfD am Dienstag aus, dass der EU-Flüchtlingsgipfel keinen Durchbruch brachte und sieht Merkel in der EU isoliert. Wolf und Klöckner nahmen hingegen Anleihen bei Letzterer: Sie hielten einfach mal die Klappe.