Jede Erschütterung und Veränderung der Gravitation aufgezeichnet. | Die Erde hebt sich bis zu 50 Meter täglich. | Muggendorf/Wien.Die nächste Eisenbahnstrecke ist 15 Kilometer entfernt, vor der Tür sagen sich Fuchs und Hase Gute Nacht. Mitten im Wald, eine Autostunde südwestlich von Wien, führt auf 1000 Metern Seehöhe ein Stollen 150 Meter in den Trafelberg. Am Ende des Stollens messen Präzisions instrumente die Stärke von Erdbeben. Schon die kleinste Irritation, ja sogar die Schritte einer Handvoll Menschen, kann sich die Messungen durcheinander bringen.
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"Erdbeben regen die Erde dazu an, wie eine Glocke zu schwingen. Sie stören Messinstrumente weltweit über mehrere Wochen oder sogar Monate", erklärt Roman Leonhard, der Leiter des Conrad Observatoriums der Abteilung für Geophysik der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien. Entsprechend waren die Auswirkungen des Erdbebens in Japan am 11. April: "Das Erdbeben der Stärke 9 hat in Österreich die Erde um drei Millimeter pro Sekunde bewegt", erklärte Leonhard der Gruppe um Wissenschaftsministerin Beatrix Karl, die am Montag Nachmittag das Observatorium besuchte. Es kam zur Übersteuerung des Signals auf dem hochsensiblen Gravimeter, die Alarmglocken schrillten.
Das Gravimeter misst Änderungen in der Erdanziehungskraft (Erdschwere). Denn nicht nur das Meer und damit die Gezeiten unterliegen dem Einfluss des Mondes, sondern auch die Erde selbst. "Im Tagesverlauf kann sich der Boden um bis zu 50 Zentimeter bewegen", so Leonhard. Natürlich findet diese Bewegung über eine viel größere Fläche verteilt statt als bei einem punktuellen Ereignis wie einem Erdbeben und ist daher im Alltag nicht spürbar.
Nur das auf einem tonnenschweren, direkt mit dem Berg verbundenen Betonblock positionierte Gravimeter registriert die Bewegung. Im Zentrum des Instruments befindet sich eine auf minus 269 Grad Celsius gekühlte, supraleitende Spule, die in ihrem Magnetfeld eine kleine Kugel in Schwebe hält. Das Gerät misst jede Veränderung in der Lage der Kugel. Änderungen der Erdanziehungskraft, Erdbeben und wie eingangs beschrieben Besuchergruppen, die das auf den Boden eintreffende Gewicht und die Temperatur im Raum verändern, wirken sich aus.
Das Seismometer hingegen registriert seitliche Schwingungen, die durch Luftdruck über dem Atlantik entstehen und sich über den Boden bis nach Österreich verbreiten. Dazu gehört sogar die Elektrifizierung von Städten durch den Strom der Straßenbahnen. Um diesen Störungen zu entfliehen, sind die Messgeräte 2002 von ihrem früheren Standort auf dem Cobenzl in das Waldgebiet der Bundesforste übersiedelt.
400 Erdbeben pro Jahr
Wissenschaftlich gesehen kommen Erdbeben vergleichsweise häufig vor: Die rund 40 heimischen Observatorien messen jährlich an die 400 Beben - von denen die Österreicher allerdings nur 20 bis 50 wahrnehmen. Die Erfassung der kleinsten Erdstöße ermöglicht es, das Beben-Risiko zu erfassen. "In Österreich ist die Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens auf einer Linie zwischen Wiener Neustadt und Leoben am stärksten. Wann, wo und in welcher Stärke ein Erdbeben eintreten wird, können wir jedoch nicht vorhersagen", sagt ZAMG-Direktor Michael Staudinger.
Ab Ende 2012 wird das Conrad Observatorium auch Veränderungen im Erdmagnetfeld messen. Zum Beginn des nächsten Solarzyklus um 2013/14 soll aufgezeichnet werden, wie zunehmende Sonnenstürme das Erdmagnetfeld beeinflussen. Kostenpunkt dieser zweiten Ausbaustufe für Bund und Land: 6,5 Millionen Euro. Gelder für Personal gibt es hingegen kaum: Das Observatorium hat mit jenem des Leiters einen einzigen Planposten. Die Forschung wird von Drittmittel-Angestellten der Abteilung für Geophysik der ZAMG abgewickelt.
Dem Observatorium geht es aber besser als dem Erdbebendienst der ZAMG: Der letzte Bundesbedienstete dieses gesetzlich verankerten Dienstes, der hoheitliche (vom Staat durchzuführende) Aufgaben wahrnimmt, geht Ende des Monats in Pension.