Die jüngsten Anschläge in Israel überschatteten den Besuch des US-Vizepräsidenten Joe Biden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Jaffa/Jerusalem. Der vergangene Dienstag war besonders blutig, aber die Muster der Attacken gleichen sich seit Herbst 2015, seit dem Ausbruch der "Intifada der Messer". Einzelne Angreifer, kaum mit mehr als einem Messer bewaffnet, stechen scheinbar wahllos auf Zivilisten und Soldaten ein, bis Sicherheitskräfte sie überwältigen. Am Dienstag traf es die bei Touristen beliebte Hafenstadt Jaffa, wo ein 22-jähriger Palästinenser aus der Stadt Qalqiliya im Westjordanland elf Menschen verletzte und einen amerikanischen Touristen tötete. Gleichentags griff in Jerusalem ein Palästinenser aus Ostjerusalem zwei Polizisten im arabischen Teil der Stadt an, die mittelschwere Verletzungen davontrugen. Und in Petach Tikwa, einem Vorort von Tel Aviv, stach ein palästinensischer Teenager in einem Geschäft auf einen Kunden ein, bevor er von seinem Opfer und dem Shopbesitzer überwältigt wurde.
In allen drei Fällen wurden die Angreifer tödlich verwundet. 33 israelische Opfer, drei tote ausländische Staatsbürger und 190 Tote auf palästinensischer Seite (darunter 112 Angreifer) forderte die Welle der Gewalt seit letztem Oktober. Hinzu kommen hunderte Verletzte auf beiden Seiten. Die israelische Regierung schafft es nicht, die Angriffe einzudämmen.
Opposition übt Kritik an Netanjahus Regierung
Zwar hat das Kabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach den jüngsten Anschlägen angekündigt, weitere Sperranlagen um Jerusalem zu errichten, Arbeitsgenehmigungen für Palästinenser zu erschweren und palästinensische Medien, die nach israelischer Ansicht die Gewalttaten verherrlichen, zu schließen. Dennoch sparen die oppositionellen Lager der israelischen Politik nicht mit Kritik an der Regierung Netanjahu: Der frühere Außenminister Avigdor Lieberman, selbst ein Hardliner, warf Netanjahu und Verteidigungsminister Mosche Jaalon vor, zu wenig entschlossen gegen mögliche Terroristen vorzugehen. Isaak Herzog von der Arbeitspartei bemängelte, dass die Regierung nicht auf seinen Vorschlag eingegangen sei, Trennzäune zwischen den jüdischen und arabischen Vierteln der Hauptstadt zu errichten.
Biden-Besuch in Israel im Zeichen der Anschläge
Die Angriffe überschatteten auch den zweitägigen Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden in Israel. Ursprünglich dazu gedacht, für die letzten Amtsmonate der Regierung Obama verbliebene Möglichkeiten der Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern auszuloten, stand die gestrige Pressekonferenz von Biden und Netanjahu ganz im Zeichen der Anschläge. Biden verurteilte die Taten scharf und warf Palästinenserpräsident Abbas vor, nicht öffentlich gegen den Terror Farbe zu bekennen. Gleichzeitig erinnerte er Netanjahu daran, dass es Israel nicht gelingen werde, die andauernden Angriffe einzig mit Gewalt und Strafmaßnahmen einzudämmen.
Was Biden damit vorschwebt, lässt sich aus seinem Reiseplan herauslesen: Nach Israel reiste er aus den Arabischen Emiraten an, heute Donnerstag wird er Jordanien besuchen. Seine Reise dient dem langfristigen Plan, die sunnitischen arabischen Staaten in eine Allianz mit den USA und Israel gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) und eine erstarkende Islamische Republik Iran zu bringen. "Wenn man vor vier Jahren Kontakte und Friedenspläne zwischen Israel und arabischen Staaten ins Gespräch gebracht hätte, wäre das ein chancenloses Unterfangen gewesen", sagte Biden. "Heute sprechen viele davon. Wir haben die Gelegenheit, in diese Richtung große Fortschritte zu machen."
Damit kommt die Arabische Friedensinitiative wieder auf den Tisch. Sie wurde 2002 von der Arabischen Liga auf Initiative Saudi-Arabiens vorgeschlagen und sieht eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel als Gegenleistung zur israelischen Anerkennung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit Ostjerusalem als Hauptstadt vor. Der lokale israelisch-palästinensische Konflikt ließe sich damit, so die Hoffnung in Washington, innerhalb eines größeren Bündnisses lösen.
Offiziell hat Jerusalem dazu keine neue Position bezogen. In der israelischen Bevölkerung hingegen ist das Misstrauen gegenüber Palästinensern und Arabern mit israelischer Staatsbürgerschaft stark gewachsen. Laut einer diese Woche veröffentlichten umfassenden Umfrage des amerikanischen Pew Research Centers sind 48 Prozent der jüdischen Israelis dafür, ihre arabischen Mitbürger auszuweisen. 56 Prozent sind außerdem der Meinung, Terrorangriffe seien die Folge einer zu weichen Politik Netanjahus gegenüber den Palästinensern. Und die Hälfte der Befragten widerspricht der Haltung von Armeechef Eisenkot, auf terroristische Einzelangriffe sei nur im äußersten Notfall mit tödlichen Gegenmaßnahmen zu reagieren.
Politik verbreitert den Graben zwischen den Konfliktparteien
Die neuen, immer wiederkehrenden Attacken dürften diese Haltungen weiter befeuern. Wenn allerdings Regierungschef Netanjahu während den letztjährigen Wahlen davor warnte, dass israelische Araber in Scharen zur Urne gehen würden, Rechtspolitiker Lieberman die arabische Bevölkerung Israels in einen zukünftigen Palästinenserstaat abschieben will und selbst Arbeitspartei-Chef Herzog, an sich ein Vertreter von Mitte-Links, Trennmauern quer durch Jerusalem fordert, trägt die Politik wenig dazu bei, die Gräben zwischen Juden und Arabern zu verringern.