Zum Hauptinhalt springen

Meteorit mit Atom-Altlasten

Von Eva Stanzl

Wissen

Wiener Forscher analysierten Tscheljabinsk-Meteorit und fanden radioaktiv verseuchten Boden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Überraschende Ergebnisse liefert eine Analyse des Tscheljabinsk-Meteoriten: Wiener Wissenschafter haben in Proben des im Februar 2013 über der russischen Stadt am Ural explodierten Himmelskörpers radioaktive Verunreinigungen gefunden, die nicht aus dem Kosmos, sondern von der Erde stammen.

"Unsere Idee war, nach Spuren kosmischer Strahlung zu suchen. Doch wir fanden mehr heraus: Der Tscheljabinsk-Meteorit enthält auch Radioaktivität, die vermutlich von Nuklearunfällen im Gebiet des Einschlags stammt. Mir ist derzeit keine andere Arbeit bekannt, die - etwa anhand von Bodenproben - belegt, dass das Gebiet radioaktiv verseucht ist", sagt der Kosmochemiker und Meteoriten-Experte Christian Köberl, zur "Wiener Zeitung". Die Studie erscheint in "Meteoritics & Planetary Science".

Bei dem Absturz eines 20 Meter großen Meteoriten in der 1500 Kilometer östlich von Moskau gelegenen Region Tscheljabinsk am 15. Februar 2013 wurden 1500 Menschen verletzt. Der Meteoriteneinschlag gilt als größte kosmische Attacke der jüngeren Geschichte. Das Geschoss aus dem All raste Richtung Erde und explodierte nach dem Eintritt in die Atmosphäre. Als Meteoriten wird Himmelsgestein bezeichnet, das die Erde getroffen hat.

Ursprünglich soll der Stein aus dem All ein Gewicht von 10.000 Tonnen gehabt haben. 76 Prozent des Meteoriten sind bei der Explosion verdampft. Köberl und seine Kollegen konzentrierten sich auf die Analyse kosmogener Radionuklide in den Überresten des Objekts. Diese radioaktiven Atomsorten entstehen durch die Interaktion des Himmelskörpers mit der kosmischen Strahlung und geben Aufschluss über dessen Größe, Aufbau und Struktur.

"Je länger ein Objekt im Weltraum bestrahlt wird, desto mehr Radioaktivität sammelt sich an. Es gibt kosmogene Radiogene (Atomsorten, Anm.) - etwa Kohlenstoff-14, Natrium-22, Aluminium-26 oder Mangan-57 -, die in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen, das Aufschluss über Beschaffenheit und Geschichte des Objekts gibt", erklärt Köberl. Der Direktor des Naturhistorischen Museums Wien stellte etwa fest, dass der Meteorit brüchig war, vermutlich als Resultat einer Kollision im Asteroidengürtel, die den Meteoriten in Richtung des inneren Sonnensystems gelenkt hat. Die Radionuklide verrieten weiters, dass die Reise des Objekts vom Asteroidengürtel bis zur Erde 1,2 Millionen Jahre gedauert hat.

Überraschender noch war jedoch der Anteil des Kohlenstoff-Isotops C14 im Gestein. "Dessen Konzentration in den Proben ist so hoch, dass sie nicht durch die kosmische Strahlung, sondern nur durch anthropogene (irdische) Strahlungsquellen erklärbar ist", betont Köberl. Weiters weise der Komet eine Cäsium-137-Anomalie auf, die im Weltraum nicht vorkomme. Köberl fasst zusammen: "Der Stein hat eine selektive Kontamination verschiedener Radio-Nukleide in einem höheren Ausmaß, als im Weltall zusammenkommen würde. Somit muss die Strahlung terrestrisch sein."

Nur wenige Wochen reichten

Doch das ist nicht alles. Auf der Erde bildet ein Meteorit keine Radionuklide mehr. Ihr Zerfall gibt Aufschluss darüber, wie lange er auf dem Boden lag, und das sind im Fall der Proben im NHM nur einige Wochen. "Diese kurze Zeit hat ausgereicht, um die Meteoriten-Bruchstücke radioaktiv zu verseuchen", hebt der Kosmochemiker hervor: "Es muss eine ordentliche Kontamination im Boden sein, wenn ein Stein nach kurzer Zeit schon so strahlt, dass man sie so relativ einfach nachweisen kann."

Als mögliche Ursachen geben die Forscher Nuklearunfälle in der Region an, etwa der Kyschtym-Unfall, bei dem 1957 in der im Bezirk Tscheljabinsk gelegenen Atomanlage Majak ein Tank für radioaktive Abfälle explodierte. Die Anlage ist nach wie vor aktiv. Zudem seien zwischen den 1940er und 1960er Jahren immer wieder radioaktive Abfälle in der Gegend deponiert worden. "Interessant ist auch, dass man jüngere Reaktorkatastrophen, wie Tschernobyl, in vielen Fällen nicht mehr im Boden nachweisen kann, Altlasten wie hier jedoch sehr wohl, obwohl mehr Zeit vergangen ist", so Köberl. Die Menschen in der Region leben somit gefährlich - womöglich, ohne es zu wissen.