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Meteorologie und Poesie

Von Manfred A. Schmid

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Das Wetter: Unerschöpfliches Thema con variazioni. Und das jeden Tag, rund um die Uhr, in sämtlichen Nachrichtensendungen. Das kann ganz schön auf die Nerven gehen. Dennoch möchte man nicht gern darauf verzichten. Der Kommunikationsguru Postman hat sogar behauptet, dass die Menschen die Zeitung beim Frühstück nur aufschlagen, um zu wissen, ob sie einen Regenschirm mitnehmen müssen oder nicht. Da man am Wetter aber ohnehin nichts ändern kann und jeder Ärger darüber - wie auch über die Überbringer der bösen Nachricht - zwecklos ist, sollte man mehr darauf achten, wie diese Meldungen verpackt sind: So unerschöpflich das Thema, so unerschöpflich auch die Art, darüber zu berichten. Zu meinen Favoriten gehört die Redewendung vom "lebhaften Wind", der gegen Abend "auffrischt". Da jubelt mein Herz ob der darin verborgenen Poesie. Ich wundere mich daher gar nicht, dass vor Jahren von einer schwedischen Jury einer Wetterredaktion ein Preis für Dichtkunst zuerkannt worden ist. Meldungen, in denen von aufziehenden Cumulus-Wolken oder einem herannahenden Azorenhoch die Rede ist, verdienen in der Tat literarische Beachtung. Da derartige Mitteilungen noch dazu oft nichts als pure Fiktion sind, hat die oben erwähnte Jury in ihrer Begründung auch explizit die blühende Fantasie und den enormen Einfallsreichtum hervorgehoben.

Am Dienstagnachmittag in den 15-Uhr-Nachrichten auf Ö1 wurde ich wieder einmal gehörig überrascht: Die Sonne, hieß es da, werde in ganz Österreich noch etwa drei Stunden lang scheinen. Dass im ganzen Land Sonnenschein herrscht, ist nicht alltäglich und gewiss erwähnenswert. Da zu dieser Jahreszeit aber die Sonne rund um 18 Uhr ohnehin untergeht, war die Spezifikation der Dauer eher entbehrlich: Demnächst wird man uns gar verraten, dass gegen Abend mit dem Einbruch der Dunkelheit zu rechnen ist . . .