Friedrich Gentz, später "von Gentz" genannt, war ein genussfreudiger Publizist und Staatsdenker, der auf dem Wiener Kongress eine bedeutende Rolle als Protokollführer und Sekretär gespielt hat.
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Friedrich Gentz war kein Staatsmann und Staatenlenker, sondern ein staatspolitischer Denker von Format. Kein Politiker, sondern ein geistreicher, treffsicherer und gewandter Pu-blizist, ein Meister der Formulierungskunst, der mit seinen Publikationen, seinen Denkschriften, Manifesten und Pamphleten politische Entscheidungen im Dienste von Herrscherhäusern öffentlichkeitswirksam aufbereitete und beeinflusste.
Gentz wurde am 4. Februar 1764, ein Jahr nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges, im schlesischen Breslau geboren, das nun nicht mehr zu Österreich, sondern zu Preußen gehörte. Er war der Sohn eines Münzdirektors. Nach dem Avancement des Vaters zum Generalmünzdirektor übersiedelte die Familie nach Berlin, wo der Filius das Gymnasium besuchte und sich dann an der Universität Königsberg immatrikulierte, um Jus zu studieren. Dort gehörte er zum engeren Schülerkreis Immanuel Kants, an dessen Schrift "Zum ewigen Frieden" er mitwirkte. Obwohl er das Studium nicht beendete, haben die Lehren des großen deutschen Philosophen sein Denken nicht unwesentlich beeinflusst. An dessen kategorischen Imperativ hat er sich bei seinen Handlungen freilich nie gehalten.
Kritiker der Revolution
Wie viele andere aufklärerisch gesinnte deutsche Intellektuelle und Künstler hat auch der junge Gentz 1789 den Ausbruch der Französischen Revolution freudig begrüßt. Seine Begeisterung schwand rasch, als die Revolution zur Zeit der Schreckensherrschaft unter dem Tugendbold Maximilien Robespierre ihre eigenen Kinder fraß. Unter dem Eindruck und dem Einfluss der Lektüre des Buches "Reflections on the Revolution in France" des englischen konservativen Philosophen Edmund Burke, das Gentz meisterhaft ins Deutsche übersetzte, wurde aus dem Sympathisanten ein erbitterter Gegner der Revolution und ein beachtenswerter publizistischer Widerpart Napoleon Bonapartes. Auf dem Wiener Kongress setzte er sich für eine ausgewogene, europäische und monarchisch ausgerichtete Staats- und Friedensordnung ein.
Unterdessen war der intellektuell hochbegabte junge Mann nach Abbruch des Studiums als Beamter in den Dienst des preußischen Königshauses getreten. Eine Beamtenlaufbahn entsprach jedoch nicht seinen Berufsvorstellungen. Friedrich Gentz war von seinem Wesen und seinen Charakteranlagen her alles andere als eine Beamtennatur. Es wäre schade gewesen, hätte er seine schriftstellerische Begabung in einer Amtsstube vergeudet.
Gut aussehend, gebildet, charmant, witzig, unterhaltsam und von gewinnender Urbanität, war er der geborene Salonlöwe, ein Bonvivant und Herzensbrecher. Und von diesen Eigenschaften und Begabungen machte er auch reichlich Gebrauch. Der Jünger Epikurs genoss das Leben - und zwar lebenslang. In Berlin verkehrte er im berühmten Salon von Rahel Varnhagen, wo er im illustren Freundeskreis, dem auch Wilhelm von Humboldt angehörte, bis spätnachts schöngeistige Gespräche über Gott und die Welt führte. Er verschmähte aber auch gelegentlich den Besuch eines Bordells nicht, trank zuweilen über den Durst und versuchte sich im Glücksspiel. Die Stange Geld, die seine Vergnügungssucht kostete, überstieg sein Beamtengehalt bei weitem. Herr Gentz machte Schulden. Die finanziellen Nöte, in denen er steckte, ziehen sich wie ein roter Faden durch sein abwechslungsreiches Leben.
Nicht alle Zeitgenossen waren ihm ob seines provokanten Gehabes freundlich gesinnt. So berichtet etwa Humboldt, der preußische Minister Freiherr vom Stein habe ihm gegenüber gesprächsweise geäußert, Gentz sei ein Mensch von "vertrocknetem Gehirn und verfaultem Charakter." Es gibt noch andere abfällige Urteile, allerdings nicht von so drastischer Infamie.
Eitelkeit und Geist
Es hieße freilich das Persönlichkeitsbild dieses Mannes gröblich zu verzeichnen, würde man nicht auch die Vorzüge des zweifellos eitlen Frauenhelden in die Beurteilung mit einbeziehen. Friedrich Gentz war trotz seiner Leichtlebigkeit ein tüchtiger und fleißiger Arbeiter, der bei der Abfassung seiner Denkschriften um das treffendste Wort rang und oft stundenlang an einem Absatz feilte. Seine glänzenden Geistesgaben, seine Klarheit und Selbstständigkeit des Urteils sind unbestritten.
Golo Mann, sein sprachvirtuoser Biograph, weist auf einen anderen, seltsamen Wesenszug hin, nämlich auf seine Sensibilität. Gentz habe den Anblick eines Vollbartes nicht vertragen, Blitz und Donner hätten ihn nachts aus dem Bett springen lassen, Beerdigungen habe er ein Leben lang gemieden und beim Tod eines Hundes habe er bittere Tränen geweint, weiß der konservative Historiker zu berichten.
Gentz blieb etliche Jahre im preußischen Staatsdienst, löste sich aber langsam aus der "ausweglosen Sklaverei" seines Berufes. Er ging eine kurzzeitige Ehe ein und gründete eine Monatszeitschrift, deren Inhalt er ganz alleine bestritt. Mit den antifranzösischen Denkschriften, die er verfasste und in denen er die Interessen Englands vertrat, verstieß er jedoch gegen die damalige außenpolitische Linie Preußens. Seine sprachlich geschliffenen politischen Kommentare erregten indessen die anerkennende Aufmerksamkeit des Auslandes. Der österreichische Gesandte in Berlin, Johann Philipp Graf Stadion, nutzte die Gelegenheit, um den glänzenden Publizisten anzuwerben und schickte ihn mit einem Empfehlungsschreiben an den Kaiser nach Wien.
1802 bricht Friedrich Gentz zum beschwerlichen Weg in die Kaiserstadt auf. Er macht bei einem Zwischenaufenthalt in Dresden die Bekanntschaft Klemens Lothar Metternichs. Die beiden Männer sind einander auf der Stelle sympathisch. Es ist der Beginn einer dreißigjährigen, nicht immer reibungslosen Zusammenarbeit.
Der biedere Kaiser ist freilich nach einer Audienz, von der "geschnauften, geschwollenen Rederei" seines Gesprächspartners gar nicht angetan. Aber er stellt ihn mit dem Titel eines Kaiserlichen Rates und einem Jahressalär von 4000 Gulden in seine Dienste. Gentz sucht um seine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst an, die ihm bereitwilligst gewährt wird. Außenminister Christian Graf Haugwitz bemerkt dazu süffisant: "Nun sind wir mit Österreich quitt. Wir haben ihnen Schlesien genommen, wir geben ihnen Gentz dafür."
Sieg über Napoleon
In die Staatsverwaltung nicht fix eingebunden, unternimmt der Kaiserliche Rat zunächst eine Reise nach London, wo er von der Presse enthusiastisch gefeiert und sogar vom Königspaar im Buckingham Palace empfangen wird. Nach einem zweimonatigen Aufenthalt kehrt er mit dem politischen Konzept des "Balance of Power" im Kopf nach Wien zurück. Die historische Entwicklung läuft zunächst nicht nach seinen Wünschen und Vorstellungen. Napoleon eilt mit seinen Streitkräften von Sieg zu Sieg, und Gentz muss immer wieder aus der Kaiserstadt fliehen, nach Prag, in die böhmischen Kurorte, nach Ungarn.
Erst nach der endgültigen Besiegung des Mannes, der halb Europa unter seine Herrschaft gezwungen hat, schlägt 1814/15 auf dem Wiener Kongresse die große Stunde des Staatsdenkers. Der nunmehr Einundfünfzigjährige ist am Zenit seines Lebens angelangt. Die in Wien versammelten Staatsmänner und Diplomaten bestimmen ihn per Akklamation zum Protokollführer und Sekretär des Kongresses. Friedrich Gentz wird damit zu einer der Zentralfiguren dieses spektakulären internationalen Treffens, das für ein Dreivierteljahr die Kaiserstadt an der Donau zur Hauptstadt Europas macht.
Auf Gentz warten riesige Aufgaben. Er muss die Tagesordnung festlegen, die Gesprächsthemen vorschlagen, die in den zahlreichen Ausschüssen beraten werden, die Sitzungsberichte verfassen, Reden konzipieren, vor allem aber versuchen, die divergierenden politischen Interessen der am Kongress beteiligten Staaten auf einen vernünftigen Nenner zu bringen. Für Fürst Metternich, der den Vorsitz des Kongresses innehat und im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht, ist der weltbürgerlich und international gesinnte Hofrat aus Preußen ein unentbehrlicher Berater, er ist seine graue Eminenz. Bei Gentz laufen die Fäden des Kongresses zusammen. Das wissen nur die Kongressteilnehmer, die sich in seiner Wohnung die Türklinke in die Hand geben, um seinen Rat einzuholen, ihn für ihre Wünsche, Anliegen und Forderungen zu gewinnen. Gentz ist viel beschäftigt.
"Gearbeitet bis 1 Uhr", notiert er nicht nur einmal in seinem Tagebuch, das neben seinen Memoiren zu den wichtigen zeitgenössischen Quellen zählt. Auch die Endfassung der Kongressakte trägt dann seine unverkennbare Handschrift. Trotz seiner enormen Arbeitsbelastung verschafft sich der lebensfrohe Frauenheld aber doch auch Freiräume für seine persönlichen Interessen und Vergnügungen.
Furcht vor Preußen
1819 ist Gentz maßgeblich an den repressiven "Karlsbader Beschlüssen" beteiligt, die der Unterdrückung der deutschen Nationalbewegung gelten. Ideologisch flexibler, politisch hellsichtiger und weitblickender als Metternich, ängstigt sich der "Vordenker Europas" vor einem deutschen Nationalstaat unter preußischer Führung. Die Geschichte hat ihm Recht gegeben. Auf den weiteren großen Kongressen in Troppau, Laibach und Verona führt er, merkbar widerstrebend, das Protokoll.
Sein letztes Lebensjahrzehnt verbringt der viel gerühmte, aber auch viel geschmähte Publizist den Großteil seiner Zeit in einer Villa im Wiener Vorort Weinhaus (der heute zum 18. Bezirk gehört, in dem es auch die Gentzgasse gibt). Er genießt die ländliche Idylle, lässt sich aber mehrmals die Woche zu einem (Streit-)Gespräch mit Metternich über die politische Lage oder zu einem Theaterbesuch in die Innenstadt kutschieren.
Im Kärntnertortheater begeistert ihn die Tanzkunst einer Neunzehnjährigen namens Fanny Elßler. Der fünfundsechzigjährige Grandseigneur wirbt um ihre Gunst, überhäuft sie mit Geschenken, versucht ihre Bildung zu vervollkommnen - und die zierliche Tänzerin wird schließlich seine Geliebte. "Dieser Abend, der um halb zwölf endete, kann nur mit rosafarbenen Zügen bezeichnet werden. Das Glück, welches mir heute zuteil ward, werde ich nie vergessen", notiert er in seinem Tagebuch. In Wien ist für eine monatelange Klatscherei gesorgt. Sogar der Kaiser ist indigniert. Den alten Herrn kümmerte es nicht.
Friedrich Gentz schied im Todesjahr Johann Wolfgang von Goethes, am 9. Juni 1832, aus einem bewegten Leben.
Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Bundesgymnasiums und ist Autor zahlreicher Bücher: "Die rote Erzherzogin", "Große Herrscher des Hauses Habsburg" u. v. a.
Literatur:Golo Mann: Friedrich von Gentz. Gegenspieler Napoleons, Vordenker Europas. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010.