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Caracas - Militärs, die sich offen gegen den Staatschef stellen, wecken in Südamerika generell schlimmste Befürchtungen. In Venezuela ist es mit Konteradmiral Carlo Molinas Tamayo nun der dritte Armeeführer innerhalb von zwei Wochen, der den Rücktritt des linkspopulistischen Präsidenten Hugo Chávez gefordert hat. Doch fehlt offenbar noch der entscheidende Wink aus Washington.
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Den Anfang machte Oberst Pedro Soto am 7. Februar: In einem Land, in dem der Präsident den Obersten Gerichtshof, das Parlament und die Armee manipuliere, könne von Demokratie keine Rede sein, kritisierte er und marschierte an der Spitze eines großen Protestzugs zur Residenz des Staatspräsidenten.
Wenige Tage später legte der Hauptmann der Nationalgarde, Pedro Flores, nach: "Korruption, Vaterlandsverrat, Militarisierung, Kubanisierung" hätten das Land an den Rand des Abgrunds gebracht, warf er Chávez vor. Anfang dieser Woche meldete sich schließlich Konteradmiral Carlos Molina in einem Privatsender zu Wort und forderte ebenfalls den sofortigen Rücktritt des Staatschefs. Einen Militärputsch schlossen alle drei Befehlshaber jedoch aus.
Die Attacke der Militärs ist Ausdruck einer explosiven Lage in dem südamerikanischen Land. Schon seit Monaten schwelt Unmut in dem südamerikanischen Land. Obwohl Venezuela durch seine riesigen Ölreserven zu den reichsten Ländern Lateinamerikas gehört, leben nach amtlichen Angaben mittlerweile 80 Prozent seiner Bevölkerung in Armut.
Doch ein solcher rein verbaler Aufstand, wie er sich derzeit abspielt, ist einzigartig in der von Gewalt geprägten Geschichte des Landes: Vor laufenden Kameras erheben Befehlshaber schwerste Vorwürfe gegen den Staatschef - und nichts passiert. Die einzigen, die laut aufschreien, sind die Anhänger der Militäroberen, bevor diese sich wieder in ihre Kommandozentralen zurückziehen.
"Wenn sie wollen, können sich auch Offiziere an die Presse wenden", hatte Chávez nach der Verabschiedung der neuen Verfassung 1999 verkündet, die zum ersten Mal auch Soldaten ein Wahlrecht und "Meinungsfreiheit für alle" vorsieht. "Sollen doch hundert andere Offiziere auf die Straße gehen!", kommentierte Chávez gegenüber der Nachrichtenagentur AFP jetzt die wortgewaltigen Angriffe der Militärs und gibt sich unangreifbar: "Wie schon Jesus sagte: Lasst die Pharisäer reden! In Venezuela herrscht absolute Meinungsfreiheit."
Obwohl die Soldaten in ihren Kasernen bleiben und der Generalstab hinter dem Präsidenten steht, könnte die Kritik Chávez dennoch gefährlich werden. Geht er gegen seine Widersacher vor, werden diese sagen "Wir haben es ja gesagt, er ist ein Diktator!". Lässt Chavez seine Gegner jedoch weiter gewähren, läuft er Gefahr, von der Lawine der Kritik am Ende doch noch begraben zu werden. Dann AFP