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Mexikos Kriegspräsident denkt um

Von WZ-Korrespondent Klaus Ehringfeld

Politik

Im Kampf gegen die Kartelle setzt Calderon nun auch auf Bildung und Sozialarbeit. | Bisher 15.000 Tote im Drogenkrieg. | Mexiko-City. Der Präsident kam, sah - und bat um Verzeihung. Mexikos Staatschef Felipe Calderon sitzt Mitte Februar in einem Veranstaltungssaal in Ciudad Juarez. Ihm gegenüber trauernde Mütter, wütende Geschäftsleute und einfach nur verängstigte Bürger.


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Dann erhebt sich Luz Maria Davila, eine kleine Frau mit dunklen Haaren geht vor ans Podium, bis sie Auge in Auge mit ihrem Präsidenten steht, und sagt: "Ich kann Ihnen nicht die Hand geben. Sie sind hier nicht willkommen. Was würden Sie an meiner Stelle tun?" Der Präsident zögert einen Moment und sagt dann: "Ich bitte aufrichtig um Entschuldigung."

Pistoleros der Drogenmafia hatten am letzten Tag im Jänner unter Dutzenden jungen Leuten auf einer Geburtstagsparty in der mexikanischen Grenzstadt ein Blutbad angerichtet. Sie sprengten die Feier mit ihren AK-47-Schnellfeuergewehren und richteten mit mehreren Salven 15 zumeist Minderjährige hin. Luz Maria Davila verlor dabei gleich zwei ihrer Söhne.

Zum Zeitpunkt der Bluttat befand sich Calderon auf Auslandsreise, erklärte die Opfer aber bereits wenige Stunden später zu Handlangern der Drogenkartelle. Das Massaker zu einer Abrechnung unter Dealern. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn die Opfer waren zwischen 15 und 19 Jahre alt, allesamt exzellente Schüler, Mitglieder des Baseball-Teams. Kontakt zu den Drogenmafias hatte augenscheinlich niemand. Auf viele Eltern wirkten Calderons Worte wie eine zweite Hinrichtung. "Lasst uns wenigstens die Würde unserer Kinder", hielt Luz Maria Davila ihrem Präsidenten vor. "Wenn ihr schon nicht in der Lage seid, ihr Leben zu schützen."

Stadtchef auf der Flucht

Ciudad Juarez, die 1,5-Millionen-Stadt gegenüber dem texanischen El Paso, ist längst Calderons Waterloo geworden. Nirgends wird dem konservativen Präsidenten das Scheitern seiner rein auf Konfrontation setzende Strategie im Kampf gegen die Kartelle deutlicher vor Augen geführt. Mehr als 10.000 Soldaten und Polizisten sind seit über einem Jahr in Juarez stationiert, aber das Morden hat seitdem nur weiter zugenommen. Als Calderon Ende 2006 sein Amt antrat, starben in der Grenzstadt täglich zwei Menschen eines gewaltsamen Todes, 2008 waren es schon fünf, im vergangenen Jahr stieg die Mordrate auf sieben Tote pro Tag. 2009 verloren hier 2640 Menschen im Kampf der Drogenkartelle untereinander oder in der Auseinandersetzung mit dem Staat ihr Leben. Auf 100.000 Einwohner kommen 130 Morde pro Jahr, so viel wie nirgends auf der Welt. Wer es sich leisten kann, zieht über den Rio Grande nach El Paso. Dort ist das Leben zwar teurer, aber dafür sicher. Auch der Bürgermeister von Juarez, José Reyes, wohnt inzwischen in den USA.

Das Massaker auf der Geburtstagsparty aber war augenscheinlich ein Wendepunkt in der Drogenpolitik. Gleich zwei Mal flog Calderon innerhalb einer Woche mit großen Teilen seines Kabinetts nach Ciudad Juarez und hatte nicht nur Entschuldigungen im Gepäck, sondern auch eine neue Strategie, auf die vor allem Experten für das Organisierte Verbrechen seit langem gedrängt haben. Anstatt mit Waffen und Soldaten soll den Kartellen und ihren Verlockungen jetzt mit Investitionen in Bildung, Gesundheit und Sozialarbeit zu Leibe gerückt werden. Nach dem Vorbild der früheren kolumbianischen Drogenhochburg Medellin sollen jetzt Schulen, die lokale Wirtschaft, Gesundheitsstationen und die lokale Polizei gestärkt werden. Für den "Eingriffsplan Juarez" machte der Präsident umgerechnet 200 Millionen Euro locker.

Korruption bis zur Spitze

Experten halten diesen Paradigmen-Wechsel für überfällig, denn es scheint, als würde der Drogenkrieg, der seit Calderons Amtsantritt bereits 15.000 Opfer gefordert hat, heuer noch eine Stufe härter geführt. In den ersten 34 Tagen des Jahres registrierten die Behörden bereits 1000 Tote, 300 davon alleine in Juarez. Und bisher waren Unbeteiligte verschont geblieben, es sei denn, sie gerieten zufällig in die Schusslinie. Das Massaker an den 15 Studenten aber zeigt, dass die Kartelle jetzt auch die Bevölkerung direkt ins Visier nehmen.

Für Francesco Forgione ist das eine bekannte Strategie der Organisierten Kriminalität. "Es ist die klassische Einschüchterungs-Botschaft an Regierung und Gesellschaft", sagt der frühere Vorsitzende des Anti-Mafia-Ausschusses im italienischen Parlament. Für Forgione weisen die italienische Mafia und die mexikanischen Rauschgiftkartelle viele Gemeinsamkeiten auf. Städte wie Juarez seien völlig von der Mafia kontrolliert, und die Kartelle tief in die Gesellschaft eingedrungen. "Dagegen hilft keine Armee der Welt", betont Forgione.

Doch für Fachleute wie Edgardo Buscaglia geht Calderons neue Politik noch immer nicht weit genug. "Die Regierung muss auch die Finanznetze der Mafia zerstören und die Korruption in Politik, Justiz und Polizei unterbinden", sagt der Experte für Organisierte Kriminalität und Hochschullehrer in Mexiko-City. Unerlässlich sei es zudem, Villen, Firmen und Ländereien ins Visier zu nehmen und zu verhindern, dass aus schmutzigem sauberes Geld wird. "Nur wenn Du an ihre Vermögenswerte und Besitztümer gehst, hast Du eine Chance zu gewinnen", sagt Buscaglia.