Zum Hauptinhalt springen

Mieter hat Anspruch auf Mietzinsentfall

Von Alfred Nemetschke

Recht

Schlägt sich die Pandemie auf die Firmenmiete nieder, sind schadenersatzrechtliche Überlegungen im Sinne des Vermieters verfehlt: Eine Erwiderung auf den Gastkommentar von Rechtsanwältin Irene Welser.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Um den Gastkommentar von Irene Welser vom 25. März 2021 "Wen die Pandemie bei Firmenmieten trifft" richtig einordnen zu können, muss man zunächst einmal wissen, dass die Kanzlei der Autorin unter anderem eine im Eigentum der Karl Wlaschek Privatstiftung stehende Immobiliengesellschaft in einer gerichtlichen Auseinandersetzung betreffend das Café Landtmann vertritt. Zudem ist ein Partner ihrer Kanzlei Stiftungsvorstand. Unsere Kanzlei vertritt den Mieter, eine Gesellschaft der Familie Querfeld. Gegenstand dieser Auseinandersetzung, über die in den Medien bereits breit berichtet wurde, sind im Wesentlichen die Fragen, ob dem Mieter während der Lockdowns ein Anspruch auf Mietzinsbefreiung und zwischen den Lockdowns ein Anspruch auf Mietzinsminderung zusteht und ob der Mieter, wenn er staatliche Unterstützungen in Anspruch nimmt, diese Ansprüche verliert.

In den Medien wurde auch laufend über den Stand der Lehre und Judikatur zum Thema Bestandzinsentfall- und Minderung infolge der Covid-19-Pandemie berichtet. Andreas Vonkilch für den Österreichischen Kinoverband und Brigitta Zöchling-Jud für die Fachgruppen Kaffeehäuser, Gastronomie und Hotellerie der Wirtschaftskammer Wien haben zu den rechtlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Bestandverträge Rechtsgutachten erstattet. Erste erst- und zweitinstanzliche Urteile (BG Meidling, BG Josefstadt und LG ZRS Wien) liegen bereits vor, höchstgerichtliche Judikatur fehlt noch.

Staatliche Unterstützungen wirken sich nicht aus

Die bisherige Judikatur und die mittlerweile herrschende Lehre (Zöchling-Jud, Vonkilch, Christian Prader, Johannes Stabentheiner und viele mehr) bejahen den Anspruch des Mieters auf Mietzinsentfall im Lockdown und Mietzinsminderung zwischen den Lockdowns, wenn das Mietobjekt aufgrund der Pandemie und behördlicher Einschränkungen nicht beziehungsweise nur eingeschränkt benützbar ist, und verneinen rechtliche Auswirkungen durch staatliche Unterstützungen auf diese Ansprüche: Staatliche Unterstützungen haben keine Auswirkungen auf die zwischen Vermieter und Mieter geltende gesetzliche Rechtslage. Der Mieter kann sich also auch dann auf §§ 1104 f ABGB berufen, wenn er staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nimmt.

Vor diesem Hintergrund wirft Irene Welser (zu wiederholtem Male) die Fragen auf, ob der Mieter deshalb keinen oder nur einen ermäßigten Zins zahlen muss, weil das Gesetz dies für den Fall anordnet, dass das Mietobjekt wegen außerordentlicher Zufälle wie Feuer, Krieg oder Seuche, Überschwemmungen oder Wetterschlägen gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann. Ist es nur der Schaden des Vermieters, dass weltweit Menschen erkranken, weil §§ 1104 f ABGB ihm allein schon durch das Wort "Seuche" alle damit verbundenen Risiken zuordnet? Kann das Unheil, das die Menschen auf der ganzen Welt gleichermaßen wie ein Keulenschlag trifft, hingegen den Mieter entlasten, weil ja das Mietobjekt "unbrauchbar geworden ist" - Pech nur für den Vermieter?

Eine Frageder Gefahrtragung

Irene Welser legt in der Folge ihre Sicht der Dinge dar (was ihr völlig unbenommen sei), unterschlägt jedoch jeden Hinweis auf die bislang zu §§ 1104 f ABGB vorliegende Judikatur und herrschende Lehre. Wenn Irene Welser meint, bei Lektüre der einseitig mieterfreundlichen Stellungnahmen (gemeint: die herrschende Lehre) ist man versucht, zu glauben, die Autoren seien allesamt Mieter, die Vermieter hätten keine Stimme, verkennt oder verdrängt sie ganz offensichtlich die Grundsätze wissenschaftlicher Arbeit.

Ob der Bestandnehmer Anspruch auf Bestandzinsentfall- oder Minderung hat, wenn er das Bestandobjekt aufgrund der Pandemie und behördlicher Beschränkungen nicht vertragsgemäß nutzen kann, ist eine Frage der Gefahrtragung, die im ABGB umfassend geregelt ist. Es gilt der Grundsatz, dass die Preisgefahr (und zwar bei jeder Art von Zufall) den Bestandgeber trifft, das heißt, zufällige Ereignisse fallen in seine Sphäre. Der Bestandgeber wird im Gegenzug von der Wiederherstellungspflicht befreit.

Die Covid-19-Pandemie ist als außerordentlicher Zufall im Sinne des § 1104 ABGB anzusehen. Die dadurch verursachte Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes berechtigt den Bestandnehmer zur Geltendmachung von Bestandzinsentfall oder Minderung.

Ob die Covid-19-Pandemie zu einer gänzlichen oder teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes führt, ist am bedungenen Gebrauch zu messen, wobei der Vertrag maßgeblich ist. Dabei kommt es nicht nur auf die ausdrückliche Vereinbarung an, sondern auch auf den gewöhnlich vorausgesetzten Verwendungszweck.

Daher: Nein, es muss keine Substanzbeeinträchtigung des Bestandobjekts vorliegen. Entscheidend ist, ob die Gebrauchsmöglichkeit objektiv - gemessen am Vertragszweck - beseitigt oder eingeschränkt ist. Und nein, hier liegt kein Betriebsrisiko des Bestandnehmers vor. Die von Irene Welser apodiktisch aufgestellte Behauptung, der zentrale Gedanke des § 1104 ABGB sei, dass (nur) ein am Objekt selbst auftretender Schaden dem Eigentümer zuzuordnen sei, ist jedenfalls grundfalsch.

Kein Raum für die Lehrevon der Geschäftsgrundlage

Die §§ 1104 f ABGB sind Fälle der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage. Ein Rückgriff auf die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist nach völlig herrschender Ansicht jedoch nur dann zulässig, wenn weder der Vertrag noch das dispositive Recht eine Regelung für diesen Fall bereitstellen. Nachdem die §§ 1104 f ABGB nun aber gerade, wie dargelegt, das in Frage stehende Rechtsproblem regeln, bleibt kein Raum für einen Rückgriff auf die allgemeine Lehre von der Geschäftsgrundlage.

Daher: Nein, es gibt keinen Raum für weitere Überlegungen in Richtung Wegfall der Geschäftsgrundlage, auch nicht hinsichtlich eines Rechts des Bestandgebers zur Auflösung des Bestandvertrages. Die Gründe, die den Bestandgeber zu einer vorzeitigen Auflösung des Bestandvertrages berechtigen, sind in § 1118 ABGB geregelt.

Daher: Nein, schadenersatzrechtliche Überlegungen sind hier völlig verfehlt.

Staatliche Unterstützungen (Fixkostenzuschuss 1, Fixkostenzuschuss 800.000, Umsatzersatz, Verlustersatz) haben keine Auswirkungen auf die zwischen Bestandgeber und Bestandnehmer geltende gesetzliche Rechtslage. Der Bestandnehmer kann sich also auch dann auf §§ 1104 f ABGB berufen, wenn er staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nimmt.

Nachdem wir auch eine Menge Bestandgeber beraten, kann ich deren Unmut sehr gut verstehen. Die Bestandgeber wurden von der Regierung komplett im Stich gelassen. Das sollte aber nicht dazu führen, sich in unseres Erachtens völlig aussichtslose Auseinandersetzungen mit Bestandnehmern zu begeben, die im Hinblick auf die Richtlinien zum Fixkostenzuschuss 1 und Fixkostenzuschuss 800.000 ("Schadensminderungspflicht") gar nichts anderes tun können, als ihre Ansprüche auf Bestandzinsentfall und Minderung geltend zu machen, wenn sie die Ansprüche auf die Fixkostenzuschüsse hinsichtlich der auf die Bestandzinse entfallenden Anteile nicht verlieren oder sich gar dem Vorwurf des Förderbetruges aussetzen wollen.

Aktuelle Judikaturund herrschende Lehre

Zum Abschluss noch eine kurze Zusammenfassung auf Grundlage der aktuellen Judikatur und herrschenden Lehre:

Kann ein Bestandobjekts infolge der Pandemie oder diesbezüglich erfolgter behördlicher Beschränkungen nicht oder nur eingeschränkt benützt werden, steht dem Bestandnehmer Anspruch auf Bestandzinsbefreiung oder Minderung zu.

Die §§ 1104 f ABGB sind dispositives Recht, das heißt, es kann auch Abweichendes vereinbart werden. Es ist daher jeder Einzelfall rechtlich zu prüfen. Es ist zu klären, ob der Bestandvertrag einen Ausschluss der §§ 1104 f ABGB enthält. Weiters ist zu klären, ob der Bestandnehmer, etwa durch Abschluss einer Stundungsvereinbarung oder Weiterzahlung des Bestandzinses, auf die Geltendmachung der Ansprüche gemäß §§ 1104 f ABGB verzichtet hat oder dies rechtsirrtümlich erfolgte.

Unter §§ 1104f ABGB sind auch pandemiebedingte Umsatzausfälle zu subsumieren.

Kein Bestandnehmer ist verpflichtet, auf ein anderes Geschäft "umzusatteln", um dem Bestandgeber den vollen Mietzins zu erhalten. Es besteht auch keine Verpflichtung, ein Lieferservice oder Take-away einzurichten, wenn ein solches nicht schon vor der Pandemie betrieben wurde.

Ein allfälliger Restnutzen des Geschäftslokals durch Lagermöglichkeiten stellt keine teilweise Brauchbarkeit dar.

Staatliche Unterstützungen haben keine Auswirkungen auf die zwischen Bestandnehmer und Bestandgeber geltende gesetzliche Rechtslage. Der Bestandnehmer kann sich also auch dann auf §§ 1104 f ABGB gegenüber dem Bestandgeber berufen, wenn er staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nimmt.

Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at