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Migranten im Visier: Normative Kraft des Faktischen und mediales Interesse

Von Walter Hämmerle

Analysen

Lange hat es gedauert, bis die etablierten Parteien das Stimmenpotenzial der Neo-Österreicher für sich entdeckt hatten. Die 70er, 80er und weite Teile der 90er waren in dieser Hinsicht verlorene Jahrzehnte. Als Dammbrecher fungierten damals die Grünen, die in bewusster Umkehrung der damaligen ausländerkritischen FPÖ-Politik als Erste offensiv um diese Stimmen warben. | Wie sehr sich seitdem die Zeichen der Zeit verändert haben, demonstriert das offensive Werben sämtlicher Parteien im laufenden Wiener Wahlkampf. Gerade für die Bundeshauptstadt gelten die Fragen im Zusammenhang mit Migration als Schlüssel für die Lösung fast aller politischer Probleme: Egal ob Wohnen, Bildung, Sicherheit oder Soziales. Auf diese Herausforderungen müssen Parteien Antworten erarbeiten, und dabei kommen sie um eine Auseinandersetzung mit den Zuwanderern nicht herum. Auf einem anderen Blatt steht, wie konstruktiv diese Auseinandersetzung tatsächlich stattfindet .. .


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Zu dieser Sachebene ist längst eine weitere getreten: Gerade im Wiener Wahlkampf spielen die Medien eine überragende Rolle. Kandidaten mit Migrationshintergrund erhalten weit überproportionale mediale Aufmerksamkeit. Wer hier über ein attraktives Zugpferd verfügt, kann sich viel Geld für Inserate sparen. Auch das spielt natürlich für Parteien eine Rolle.

Strategisch ist das Stimmenpotenzial der Zuwanderer für die Wiener Parteien von unterschiedlicher Bedeutung. Für die Wiener SPÖ geht es darum, ihre seit Jahrzehnten schrumpfende Kernklientel durch neue Zielgruppen zu erweitern. Dabei muss die SPÖ durchaus eine heikle Gratwanderung bewältigen: Ein beachtlicher Teil ihrer traditionellen Kernwähler steht der Zuwanderung der letzten Jahrzehnte skeptisch gegenüber. Vor allem die FPÖ hat in diesen Gefilden - Stichwort Gemeindebau - erfolgreich gewildert. Die SPÖ wird daher möglichst zielgruppenspezifische Botschaften aussenden.

Für die Grünen gehört das Eintreten für Migranten zum traditionellen Selbstverständnis. Die eigenen Wähler erwarten dies, ebenso entsprechende Kandidaten. Selbst können die Grünen allenfalls die Stimmen der höher gebildeten Migranten erwarten.

Auch die ÖVP kann kaum mit großen Stimmenzuwächsen aus diesem Lager rechnen. Für sie ist ein Kandidat mit Migrationshintergrund in erster Linie ein Signal an ihr bürgerlich-liberales Potenzial und damit eine Kampfansage an die Grünen, mit denen die ÖVP hier konkurriert.

Den Freiheitlichen ist dagegen ihr mediales Image längst egal. Aber nicht einmal diese wollen auf die Stimmen von Neo-Österreichern verzichten. Ein schönes Beispiel für die normative Kraft des Faktischen.

Nur zur Beruhigung: Mehr als 90 Prozent aller Kandidaten werden über keinen Migrationshintergrund verfügen. Andere Wahrnehmungen entspringen medialen Verzerrungen.

Zuwanderer als große Unbekannte