42 Prozent der Wiener Kinder haben Deutsch nicht als Muttersprache. | Lehrer brauchen mehr Weiterbildung. | Neuer Umgang mit mehrsprachigen Klassen
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Wien. Kinder aus Zuwandererfamilien tun sich im heimischen Schulsystem besonders schwer. Zu diesem Befund kommt nun die an der Donau-Universität Krems im Auftrag des Bildungsministeriums durchgeführte Studie "Schule - Migration - Gender" der beiden Wissenschafterinnen Gudrun Biffl und Isabella Skrivanek.
Demnach landen Jugendliche mit Migrationshintergrund, vor allem männliche, besonders oft in der Sonderschule - und zwar nicht aufgrund ihrer kognitiven Fähigkeiten, sondern oft wegen ihres Verhaltens, berichtet Biffl. Fremdsprachige Schüler absolvieren seltener eine Lehre als ihre Alterskollegen und die Anteile jener Schüler, die an einer Handelsakademie (HAK), einer Höheren Technischen Lehranstalt (HTL) oder einem Oberstufenrealgymnasium eine Klasse nicht positiv abschließen, sind bei Jugendlichen mit nicht-deutscher Umgangssprache mehr als doppelt so hoch wie bei jenen ohne Migrationshintergrund.
Brisante Ergebnisse, wenn man bedenkt, dass Schüler mit Migrationshintergrund längst keine kleine Randgruppe mehr sind. Der Anteil der Schüler, die eine andere Umgangssprache als Deutsch sprechen, beträgt in Wien 41,8 Prozent, gefolgt von Vorarlberg mit 18,3 Prozent. Die niedrigsten Anteile haben Kärnten und die Steiermark mit 8,9 Prozent beziehungsweise 9,6 Prozent.
Biffl spricht sich im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" für eine "umfassende Reform des Bildungssystems" aus. Als mögliche Hebel nennt sie laufende Weiterbildung für Pädagogen, Team-Learning in Kleingruppen im Klassenzimmer, die Anwendung von Lernmethoden für mehrsprachige Klassen - und einen verbesserten Zugang von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zur Lehrerausbildung.
Laut der Studie haben Personen mit Migrationshintergrund bis jetzt kaum in die Ausbildungsbereiche für das Bildungssystem Zugang gefunden. 2009/10 hatten nur 2,7 Prozent der Schüler an Bildungsanstalten der Kindergartenpädagogik eine andere Umgangssprache als Deutsch, an den Bildungsanstalten der Sozialpädagogik waren es 1,4 Prozent und an den Bundesanstalten für Leibeserziehung 2,3 Prozent. An den Pädagogischen Hochschulen wird die Umgangssprache der Studierenden nicht erhoben, es gibt daher nur Daten zur Staatsangehörigkeit. Im Studienjahr 2009/10 waren 7,4 Prozent der Studierenden ausländische Staatsbürger.
Das Argument, viele der Bewerber würden trotz Matura das Aufnahmeverfahren an eine Pädagogische Hochschule wegen Sprachdefiziten nicht bestehen, lässt Biffl nicht gelten. Hier fordert sie ein radikales Umdenken. AHS-Maturanten müssten beispielsweise bei einem Wirtschafts- oder Technikstudium in bestimmten Fächern wie Kostenrechnung oder Mathematik in einem bestimmten Zeitraum eine Prüfung ablegen, im Gegensatz etwa zu Absolventen einer HAK oder HTL. Ähnlich könnte man dies an den Pädagogischen Hochschulen handhaben: Studierende mit Migrationshintergrund müssten hier dann eben in einem bestimmten Zeitraum ihre Deutschkenntnisse perfektionieren. Wer Lehrer werden wolle, werde das auch sicher schaffen. "Wir müssen hier die Schnittstellen neu gestalten", meint Biffl. Vorstellbar wäre zum Beispiel, vor Aufnahmeprüfungen auch Trainingsmodule einzuführen. "Andere Länder schaffen das ja auch." Als Beispiel nennt die Wissenschafterin die USA.
Lernen in Kleingruppen
Stichwort Lehrer: Diese dürften mit der momentanen Situation nicht allein gelassen werden. Kaum ein Pädagoge sei geschult im Umgang mit multilingualen Klassen. Mit bilingualen Angeboten komme man nicht weit. Biffl plädiert hier für das Lernen in Kleingruppen von bis zu fünf Schülern. Das Lerntempo sollte dabei vom Lehrer jeweils so gestaltet werden, dass das schwächste Glied die Mindeststandards erreicht. Jeder wisse aus eigener Erfahrung, dass man sich in der Kleingruppe eher traue zu sprechen als vor der ganzen Klasse. Zudem verhielten sich immer noch viele Pädagogen diskriminierend, indem sie einzelne Schüler besonders loben oder andere vor den Mitschülern permanent bloßstellen. Auch hier müsse durch Fortbildung ein sensiblerer Umgang erreicht werden. Das betreffe übrigens nicht nur die unterschiedlichen Bedingungen für Schüler mit und ohne Migrationshintergrund, sondern auch jene für Mädchen und Burschen sowie Kinder aus bildungsnahen und bildungsfernen Schichten.
Handlungsbedarf orten die Studienautorinnen darüber hinaus im Bereich Sprachförderung. Denn derzeit gibt es keine durchgängige Sprachförderung über die Schulstufen und -typen hinweg. Der Zugang zu Sprachförderung sei "defizitorientiert". "Bislang fehlen Evaluierungen, inwiefern die bisher gesetzlichen Maßnahmen im Bereich der Sprachförderung ausreichend und zielführend waren", heißt es in der Studie. Zudem habe die Dezentralisierung der Mittelvergabe für die Sprachförderung zu Kürzungen beim "Deutsch als Zweitsprache"-Unterricht geführt.
Sprachförderung müsse aber ausreichend früh und qualitativ hochwertig beginnen, betonen Biffl und Skrivanek. Die österreichische Sozial- und Familienpolitik enthalte allerdings Anreize, Kinder lange im eigenen Haushalt zu belassen.
Damit verbunden sei ein schwacher Ausbau der außerhäuslichen Kinderbetreuung und eine späte professionelle und an frühkindlicher Förderung ausgerichtete Kinderbetreuung. Das gelte wiederum verstärkt für ärmere Bevölkerungsschichten, die häufig bildungsfern sind und Migrationshintergrund haben. Genau diese Gruppen bräuchten aber dringend frühe Förderung. Ohne diese werden sie auch in Zukunft weiter am heimischen Bildungssystem scheitern.