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"Migration sammeln" im Wien Museum

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Die Stadt kommt in ihrer Realität an.


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Wolfgang Kos ist der Prinz des Wien Museums. Er hat den Inbegriff einer verstaubten Institution - ein Stadtmuseum mit dem Charme des Schulfunks - wachgeküsst. Das Wien Museum hat in den letzten Jahren völlig neu definiert, was Stadtgeschichte, was Veränderung, ja was Stadt überhaupt ist. Ein Museum also, das absolut zeitgenössisch ist.

Das neueste Projekt führt das deutlich vor. "Migration sammeln". Gemeinsam mit der Stadt Wien will das Museum bis Mitte 2016 Objekte sammeln, die die Geschichte der Zuwanderung, also jene der sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien, nicht nur dokumentieren, sondern erlebbar machen. Die Geschichte der Stadt ist, so Kos, kein homogenisierter Prozess. Sie ist ein vielschichtiger, vielfältiger, oft diskontinuierlicher Prozess. So sind etwa die ehemaligen Arbeitsmigranten seit über 50 Jahren in der Stadt, aber ihre Erfahrungen, ihre Erzählungen und Erinnerungen sind ebenso wenig präsent wie die grundlegende Veränderung, die die Gesellschaft durch sie erfahren hat.

Durch das Sammeln zeigt das Museum, wie das jetzige Leben in Wien ist. Diese Gegenwart kommt nicht aus großen Ideen oder Ereignissen. Sie entsteht vielmehr aus langsamen Verschiebungen, aus Veränderungen der Lebenswelt, die fast unmerklich vor sich gehen und deren Summe dazu führt, dass man in einer veränderten Welt lebt. Das macht die Alltagskultur so relevant. Was aber sind "museumsrelevante Objekte" in diesem Fall? Für die Geschichte der Migration gibt es drei Kategorien von Objekten, die auch drei Haltungen oder drei Phasen entsprechen.

Es gibt, erstens, Dinge, die die Sehnsucht nach der alten Heimat befriedigen sollen. Dinge also, die das anderswo, den anderen Ort repräsentieren sollen. Diese müssen möglichst echt sein. Sie sind Boten des "authentischen" Ortes. Diese Dinge stehen für den Wunsch nach Rückkehr. Sie sind die wohl älteste Schicht an Objekten und die älteste Gefühlslage.

Dann gibt es, zweitens, Objekte, die zwar auch Zeichen der alten Heimat sind, die aber dazu dienen, diese Heimat hier nachzustellen. Sie dienen der Dekoration der Nischen, in die man sich zurückzieht. Die Rückkehr ist in weite Ferne gerückt, aber das Hier-Sein soll möglichst geleugnet werden. Emotional entspricht dieser Zerrissenheit der Wunsch, sich vor einer feindseligen Außenwelt zu verkriechen. Diese Parallelwelt wird nicht nur ausstaffiert, sie friert auch das Bild der alten Heimat im Moment der Auswanderung ein. Diese alten Szenarien werden hier konserviert, während sich die alte Heimat längst verändert hat.

Die dritte Objektgattung entspricht dem Angekommen-Sein, der Aneignung der hiesigen Welt. Sie sind nicht mehr Zeichen der Nostalgie, sondern Zeichen der Veränderung. Dazu kommt es, wenn ehemalige Migranten aus der Unsichtbarkeit der Nischen heraustreten. Im besten Fall bedeutet das für sie, sich zu verändern, ohne sich aufzugeben. Dann werden sie zu Kunden, zu Unternehmern, zu Wählern. Es sind aber nicht nur die Migranten, die sich dabei verändern. Es ist die gesamte Gesellschaft. In diesem Sinn bedeutet "Migration sammeln": Die Stadt kommt in ihrer Realität an.