Warum der globale Süden ganz besonders unter der Pandemie leidet.
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In den aktuellen Debatten um die Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie wird in den Staaten der nördlichen Hemisphäre derzeit zu Recht vor allem über die (drohende) Vernichtung von Jobs, die psychosozialen Auswirkungen von Heimarbeit und Kontaktbeschränkungen sowie die Frage der mittel- und langfristigen Finanzierbarkeit staatlicher Unterstützungsmaßnahmen diskutiert. Im Vergleich zu den meisten Ländern des globalen Südens gelingt es jedoch vielen Industrienationen bei aller berechtigten Kritik, zumindest vorläufig die katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Effekte der Pandemiebekämpfung abzufedern.
Gänzlich anders stellt sich die Situation in vielen bevölkerungsreichen Ländern - wie etwa Indien, Bangladesch oder Indonesien - im globalen Süden dar. Die hier an oder unterhalb der Armutsgrenze lebenden Menschen sind besonders verwundbar, weil Ausgangs- und Mobilitätsbeschränkungen und nur minimale staatliche Hilfsleistungen ihren Handlungsspielraum zur Überlebenssicherung oft auf ein absolutes Minimum reduziert haben. Aufgrund der global, aber auch intraregional starken sozioökonomischen Disparitäten stellen insbesondere Arbeitsmigration und damit verbundene Rücküberweisungen für hunderte Millionen Haushalte eine wichtige Überlebens- und Absicherungsstrategie gegen unterschiedliche Risiken dar. Grenzschließungen, Einreiseverbote und Zwangsausweisungen von Arbeitsmigranten führten im vergangenen Jahr sowohl zu einem massiven Rückgang von existenzsichernden Rücküberweisungen in die Herkunftsländer als auch zu einem erheblichen Arbeitskräftemangel in den Zielländern der Arbeitsmigranten. So schätzte die Weltbank bereits im April 2020, dass die Rücküberweisungen in Länder niedrigen und mittleren Einkommens im Vergleich zu 2019 um etwa 20 Prozent eingebrochen sind.
Die aktuellen Reisebeschränkungen stellen auch die Untersuchung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Immobilität auf von Migration abhängige Haushalte vor besondere Herausforderungen. Empirische Forschung vor Ort ist in den meisten Ländern derzeit unmöglich. Gleichermaßen ist das Verstehen dieser Prozesse für politische Entscheidungen zur Unterstützung der betroffenen Bevölkerungsgruppen unerlässlich. Angesichts dieser Situation hat die Arbeitsgruppe "Bevölkerung, Umwelt und Entwicklung" am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien die frei zugängliche Online-Datenbank "Covid-Migration News Database" (covid-migration.univie.ac.at) entwickelt. Diese enthält bisher fast 3.500 verschlagwortete Medienberichte aus 216 Ländern und Regionen zum Zusammenhang zwischen Migration und Covid-19, einschließlich der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Ziel der Datenbank ist es, einen Beitrag zum besseren Verständnis der weltweiten multidimensionalen Auswirkungen der Pandemie auf Migranten zu leisten. Denn was für Maßnahmen im Rahmen der Pandemiebekämpfung gilt, muss auch für jene gelten, die deren sozialen und wirtschaftlichen Folgen abfedern sollen: Ohne eine solide Wissensgrundlage geht es nicht.