Niederösterreichs ÖVP-Landeschefin bringt ÖVP im Bund unter Zugzwang, nachdem SPÖ-Landeschef Schnabl bei leistbarem Wohnen Druck gemacht hat.
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Der genaue Termin für die niederösterreichische Landtagswahl im ersten Quartal 2023 ist zwar immer noch offen. Aber die Tatsache, dass dann mehr als eine Million Menschen im erklärten schwarzen Kernland wahlberechtigt sein werden, ist schon seit Monaten unübersehbar. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die mit der ÖVP bei ihrer ersten Landtagswahl als Spitzenkandidatin am 28. Jänner 2018 frei nach Bundespräsident Alexander Van der Bellen "arschknapp" eine absolute Mehrheit geschafft hat, verstärkt neben Initiativen am Landesebene den Druck auf die ÖVP-geführte Bundesregierung. Sie bedrängt nun die Finanzmarktaufsicht (FMA) und ihren ÖVP-Parteikollegen Finanzminister Magnus Brunner, die erst heuer Anfang August verschärften Kreditrichtlinien für Eigenmittel für Häuselbauer zu lockern.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Chefin der starken niederösterreichischen Landespartei ihrem eigenen Bundesparteichef aus ihrem Heimatbundesland, Bundeskanzler Karl Nehammer, und dem grünen Koalitionspartner unmissverständlich eine Linie vorgibt. Schon im Frühjahr hat sie das nach zuerst ablehnender Haltung bei weiteren Entlastungsmaßnahmen wegen der Teuerung gemacht. In beiden Fällen auch über die auflagenstärkste Tageszeitung in Österreich, die "Kronen Zeitung", damit dem ÖVP-Bundesparteiobmann klar ist, welcher Wind aus der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten weht. Es erweckt den Eindruck einer abgesprochenen Aktion, um der Niederösterreichs Landeshauptfrau die Gelegenheit zu geben, ihre Stärke zu demonstrieren, wenn die Bundesregierung ihren Wunsch umsetzt. Sie bringt dabei Zuckerbrot für die Landesleute und Peitsche für die Bundespartei zur Anwendung.
Allerdings steht Mikl-Leitner in ihrem Bundesland selbst bis zu einem gewissen Grad unter Zugzwang, weil Vizelandeshauptmann SPÖ-Chef Franz Schnabl erst am Mittwoch der Vorwoche Maßnahmen für leistbares Wohnen und eine Abfederung für Häuselbauer und Wohnungsbesitzer vorgeschlagen und verlangt hat. Grund dafür ist die Wende in der Zinspolitik, die jetzt auch variable Wohnkredite für Familien in Niederösterreich teurer macht. Für viele seien höhere Rückzahlungen für Haus- und Wohnungskredite angesichts der Teuerung "existenzgefährdend", warnte er. Damit setzt er seine Schwerpunktforderungen für leistbares Wohnen fort, die er schon nach seiner Bestellung etwa mit der niederösterreichischen SPÖ-Parlamentarierin Katharina Kucharowits erhoben hat.
SPÖ-Brief an ÖVP-Regierungsmitglieder
Schnabl hat deswegen konkret eine rückwirkende Öffnung der Wohnbauförderung für alle angeregt. Dafür wäre nur der politische Wille im Land erforderlich. Außerdem sollte der Heizkostenzuschuss des Landes ausgeweitet werden. Laut eigener Aussage hat der SPÖ-Landeschef einen Brief an die ÖVP-Landesregierungsmitglieder Christiane Teschl-Hofmeister und Martin Eichtinger für die Aufnahme von Gesprächen gerichtet. Schnabl hat bei seiner Wiederwahl als SPÖ-Landeschef am 1. Oktober in Schwechat außerdem keck formuliert, seine Partei wolle bei der Landtagswahl, die frühestens am 29. Jänner und spätestens am 19. März 2023 stattfinden wird, die ÖVP in St. Pölten so schwächen, dass man auch die Bundesregierung aus dem Amt jagen werde. Umfragen sagen der ÖVP zwar deutliche Verluste voraus, sie käme aber dennoch weit vor der SPÖ bei der Landtagswahl zu liegen.
Mit dem Wohn-Thema, das viele Niederösterreicher betrifft, setzt sich der schwarz-rote Wettlauf in der Landesregierung fort. Die SPÖ, die mit rund 25 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl 2018 nur halb so stark wie die ÖVP war, hat seit Monaten auf Maßnahmen zur Ausweitung der Kinderbetreuung in Niederösterreich gedrängt. Diese lassen sich mit drei G zusammenfassen: gratis, ganztägig, ganzjährig.
Mikl-Leitner hat mit der ÖVP beim Start in den politischen Herbst Änderungen aufgegriffen, die in Richtung der SPÖ-Forderungen im Land gehen. Nach einer Klausur der ÖVP-Regierungsmitglieder wurde eine Ausweitung des Angebots an Kinderbetreuung in den rund 570 Gemeinden des flächenmäßig größten Bundeslandes angekündigt. So wird eine Senkung des Eintrittsalters in Kindergärten auf zwei Jahre vorgenommen, und die Nachmittagsbetreuung soll ausgeweitet werden. Weil aber auch in Niederösterreich Personalmangel bei der Kinderbetreuung herrscht, wird die Umsetzung bis 2024 in Angriff genommen. Der SPÖ geht das Paket nicht weit genug, speziell was das Gratis-Angebot am Nachmittag betrifft.
Die ÖVP-Landeshauptfrau betont allerdings nach mehr als fünf Jahren im Amt das politische Miteinander im Land. Die SPÖ sieht das mit ziemlich gemischten Gefühlen, weil nach ihrer Ansicht dieses Miteinander immer nur dann gilt, wenn sie der ÖVP nicht in die Quere kommt.
Zukunftsstrategie bis 2030 vorgestellt
Das Miteinander hat Mikl-Leitner auch an diesem Sonntag erneut beschworen. Da hat sie mit Schnabl und auch mit FPÖ-Landesrat Gottfried Waldhäusl den Zukunftsreport zur niederösterreichischen Landesstrategie bis 2030 im St. Pöltner Regierungsviertel vorgestellt. Dieser wurde auf Basis einer Befragung von immerhin 110.000 Menschen in Niederösterreich und Experten, darunter Fiskalratspräsident Christoph Badelt, erstellt. Fünf Schwerpunktbereiche sind darin angeführt: Sie reichen von der Frage: Wie leben wir morgen? über "Wovon leben wir morgen? bis zu "Wer wollen wir morgen sein?
Die Antworten darauf sind vielfältig. So will sich etwa "Niederösterreich als Land für junge Familien positionieren". Angesichts der durch die Corona-Krise verstärkten Hinwendung von der Stadt in den ländlichen Raum, will Niederösterreich durch den Ausbau von Fördermaßnahmen vor allem jungen Familien den Zugang zu leistbarem Wohnraum erleichtern. Damit gibt es allerdings ein gewisses Spannungsfeld zu den Problemen durch die starke Zersiedelung und gerade im Wiener Umland starken Bodenversiegelung, bei der Grün- und Ackerland in Wirtschafts- und Wohnflächen umgewidmet wird. Zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familien wird auch da die Ausweitung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten "gemeinsam mit den Gemeinden" als Ziel festgeschrieben.
Den Frauen gilt auch im Kapitel Wirtschaft und Arbeitsplätze bis 2030 ein Schwerpunkt. Demnach sollen "nicht genutzte Arbeitskräftepotenziale bei Frauen" durch bessere Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeitmodelle genützt werden. Für "arbeitsmarktferne Personen", also Menschen, die Probleme bei der Arbeitssuche haben, sind mehr Unterstützungsangebote und niederschwellige Beschäftigungsmöglichkeiten vorgesehen.
Mikl-Leitner hat selbst klargestellt, der Zukunftsreport liefere "keine fertigen Antworten", sondern Leitlinien und Impulse, in welche Richtung es gehen soll. SPÖ-Landeschef Schnabl hat schon am 8. September ein eigenes Zukunftskonzept bis 2030 im Rahmen einer Veranstaltung in Laxenburg vorgestellt. Für ihn ist dafür auch eine Stärkung der Sozialdemokratie notwendig. Damit ist man wieder bei der Landtagswahl 2023.