Die Forscherin widmet sich in ihrer Arbeit den rätselhaften Archaeen.
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Die Mikrobiologin Christa Schleper ist die diesjährige Wittgenstein-Preisträgerin. Sie ist Pionierin in der Erforschung von Archaeen und zählt weltweit zu den meistzitierten Wissenschaftern Österreichs. Gemeinsam mit ihrem Team erforscht sie an der Universität Wien die allerkleinsten und allerältesten Lebewesen der Erde, die eine große Rolle im Ökosystem spielen. Die "Wiener Zeitung" hat sie zum Gespräch getroffen.
"Wiener Zeitung": Wie sind Sie auf Ihr Forschungsfeld gestoßen?
Christa Schleper: Als Biologiestudentin bin ich als Praktikantin am Max-Planck-Institut in München bei einem Pionier der Archaeen-Forschung gelandet. Damals war dieses Gebiet noch nahezu esoterisch. Man fand Archaeen vor allem an extremen Standorten wie heißen Quellen. Ihre ökologische Bedeutung war noch unbekannt. Wir betrieben Feldforschung in Island und die Atmosphäre war unglaublich spannend. Das war der erste Kick.
Was ist besonders faszinierend an den Archaeen?
Dass sie an so extremen Standorten, die an eine frühe Erde erinnern, überhaupt überleben können. Auch evolutionär gesehen sind sie faszinierend. Archaeen haben molekulare Maschinen für die Informationsweitergabe in der Zelle entwickelt, wie wir sie heute in Pflanzen und Tieren haben. Ohne die Archaeen gäbe es uns nicht so, wie wir sind. Sie sind eine Art Vorläufer für wesentliche Vorgänge in unseren Zellen. Je mehr wir über sie lernen, umso mehr verstehen wir unsere eigene Entwicklung.
Welche Bedeutung haben sie für die Natur und den Menschen?
Da gibt es den evolutionären und den ökologischen Aspekt. Um Letzteren weiß man erst seit rund 20 Jahren Bescheid. Ich war einer der Pioniere, die Metagenomik benutzt haben, um Archaeen in der Umwelt zu suchen. Sie befinden sich überall auf der Erde - im Boden, im Meer. Alleine schon wegen ihrer Anzahl sind sie bedeutend, aber auch, weil sie Stickstoffverbindungen umsetzen - auch jene, mit denen wir die Felder düngen. Dadurch landen nur 30 Prozent des Stickstoffs in den Pflanzen, der Rest wird in die Umwelt gespült. Deshalb will man in der Landwirtschaft verhindern, dass sich diese Mikroben vermehren oder aktiv sind. Verstehen wir, wie sie funktionieren, können wir sie besser regulieren. Möglicherweise kommen wir dann mit weniger Düngemittel aus, das die Umwelt belastet.
Archaeen produzieren auch Methangas - eines der Treibhausgase. Was gibt es da zu bedenken?
Diese methanogenen Archaeen sind genauso problematisch wie die Stickstoff umsetzenden Mikroben, die Lachgas - auch ein Treibhausgas - bilden. Mit dem Auftauen des Permafrost hat man die Sorge, dass noch viel mehr Methan freigesetzt wird. Doch genau die gleichen Organismen sind auch spannend für biotechnologische Prozesse, weil sie CO2 und zu Methan umsetzen können. Produziert man das kontrolliert, ist das ein Energieträger ähnlich wie Erdgas. Auch daran wird geforscht.
In welches Forschungsprojekt fließt das Preisgeld?
Wir wollen die Prozesse im Boden und die Stickstoffumsetzung genauer studieren. Das ist auch ein bisschen Pionierarbeit mit meinem Team. Wir sind auch Pioniere in der Kultivierung von Archaeen. Mit Nitrososphaera viennensis haben wir den ersten Organismus offiziell beschrieben. Er stammt aus dem 9. Wiener Gemeindebezirk - deshalb auch der Name. Er ist unser Modellorganismus. Und jetzt sind wir so weit, dass wir Biochemie machen können und ich freue mich, hier tiefer eintauchen zu können.
Häufig wird von Urbakterien statt Archaeen gesprochen. Sind sie mit Bakterien vergleichbar?
Ihr Entdecker (Anm. der US-amerikanische Mikrobiologe Carl Woese) hat sie zuerst Archaebakterien genannt, später dann Archaea. Da sie vorerst nur an Extremstandorten gefunden wurden und sie an die frühe Erde erinnerten, dachte er, sie müssen ursprünglich sein. Sie gehören zu den ersten Lebewesen auf der Erde und sind zur gleichen Zeit wie Bakterien entstanden, aber einen anderen Evolutionsweg gegangen. Deshalb ist der Ausdruck Urbakterien nicht richtig.
Bei Bakterien gibt es krankmachende und gesundheitsfördernde. Gibt es das bei Archaeen auch?
Bis jetzt ist noch keine krankmachende Art gefunden worden. Aber es gibt Assoziationen - etwa bei methanogenen Archaeen im Darm. Sie kommen häufiger bei gewissen Krankheiten vor. Aber es ist eher eine Korrelation. Man hat noch kein Archaeon gefunden, das ursächlich eine Krankheit auslöst. Die Archaeen, die mit Tieren assoziiert sind, sind auch eher Symbionten als Pathogene. Wobei wir hauptsächlich an den Methanbildnern und den Ammoniakoxodierern arbeiten, die auf der Erde weit verbreitet sind.
In welche Gebiete könnte man noch näher hineinschauen?
Ein anderer starker Schwerpunkt läuft als großes EU-Projekt mit einem ERC-Grant. Da gehen wir wieder mehr in die Evolution. Wir haben eine neue Gruppe von Archaeen kultiviert, die tatsächlich die derzeit bekannte nächstverwandte Schwestergruppe zu Pflanzen und Tieren ist. Unsere nächsten Verwandten, wenn man so will. Sie besitzen ganz viele Gene, von denen man dachte, dass sie sich erst in den komplexeren Lebensformen entwickelt haben. Sie bergen eine Goldgrube an neuen Genen, die wir unbedingt verstehen wollen, um zu sehen, wie komplexe Lebensformen entstanden sind. Die Bakterien und Archaeen haben sich vor etwa vier Milliarden Jahren entwickelt und aufgespaltet. Nach zwei Milliarden Jahren haben sie sich wieder getroffen und daraus sind die Pflanzen und Tiere entstanden. An dieser ursprünglichen Linie sind wir jetzt ganz nahe dran. Diese Archaeen sehen auch spannend aus - sie bilden ganz lange Arme und ganz neue Zellformen. Sie sind komplex und sehr verwebt. In ihrem genetischen Material kann man auch erkennen, dass sie ein Zytoskelett haben müssen. (Anm. Ein Zytoskelett ist für die mechanische Stabilisierung der Zelle und ihre äußere Form, für Bewegungen sowie für Transporte in der Zelle verantwortlich.) Man dachte, dass sich ein solches erst in höheren Lebewesen entwickelt hat. Das Forschungsgebiet dazu ist noch jung.
Archaeen können offensichtlich sehr viel.
Ja, und das ist ein ganz großes Rätsel. Eine ganz persönliche Forschungsfrage von mir ist es, wieso das so ist, dass die so viel können, aber dass die meisten davon in heißen Quellen geblieben sind und sich nur ein paar so erfolgreich auf dem Planeten ausgebreitet haben. Eben die Methanbildner und die Ammoniakoxidierer. Wir forschen auch an Archaeen aus heißen Quellen. Diese können wieder ganz andere Sachen. Sie können super wachsen, haben sich aber trotzdem nicht weiter ausgebreitet.
Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert, Preisträgerin zu sein?
Ich war überrascht und berührt. Und ich habe mich auch riesig für die jungen Leute in meinem Labor gefreut. Ich hätte viele Forschungsanträge stellen müssen, dass sie auch weiter forschen können. Ich bin dankbar darüber.
Das heißt, das Preisgeld fließt in die bestehende Forschungsgruppe?
Ja. Und das ist ein tolles Team. Ihnen kommt der Preis im Endeffekt zugute. Er gibt auch Sicherheit. Wir können nach zwei Jahren Pandemie auch wieder hinaus, und Feldforschung betreiben. Das ist eine positive Welle, die wir gut gebrauchen können.
Der Wittgenstein-Preis ist mit 1,5 Millionen Euro der höchstdotierte Wissenschaftspreis Österreichs. Er wird jährlich gemeinsam mit sechs START-Preisen vom Wissenschaftsfonds FWF vergeben. Der Preis gilt als Bestätigung eines herausragenden wissenschaftlichen Lebenswerks.