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Militär zwischen Diktatur und Demokratie - die Optionen

Von Georg Friesenbichler

Analysen

Derzeit würde jeder Beobachter der Ereignisse gerne Mäuslein sein in den Besprechungen des ägyptischen Generalstabs. Fliegen da die Fetzen, weil man sich über die richtige Vorgehensweise selbst uneinig ist? Wird ständig mit Washington telefoniert, um Instruktionen einzuholen? Oder verfolgt man ein stringentes Konzept des geregelten langsamen Übergangs von Hosni Mubarak zu den etablierten politischen Gruppen, das die Straßenproteste eindämmt und dem Militär seine Pfründe sichert? Die zunächst passive Haltung der Armee gibt viele Rätsel auf. Feststeht nur, dass ihr Agieren für den Ausgang der ägyptischen Revolution von entscheidender Bedeutung ist.


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Die Rolle eines solchen Machtapparates hat sich stets als wichtig erwiesen, wenn politische Systeme wegen sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen instabil werden. Auch in der österreichischen oder deutschen Geschichte gibt es Beispiele dafür. Oft haben die Militärs nicht nur diktatorisch regierende Machthaber unterstützt, sondern auch selbst die Macht ergriffen. Man denke nur an die lateinamerikanischen Militärdiktaturen des 20. Jahrhunderts, das griechische Obristenregime ab 1967 oder an die Türkei, wo die Armee, einst Stütze von Kemal Atatürk im Kampf um eine säkulare Republik, immer wieder geputscht hat. Pakistan, Burma oder viele Länder Afrikas liefern aktuelle Beispiele.

In Ägypten ist derzeit noch kein General auszumachen, der sich anschickt, die Nachfolge Mubaraks anzutreten. Allerdings sitzen etliche Militärs oder Ex-Militärs schon in seiner Regierung.

Was eine Militärregierung verhindern könnte, ist die allgemeine Wehrpflicht. Aus Kairo wird von einfachen Soldaten berichtet, die in Tränen ausbrachen, weil sie von ihren Vorgesetzten zum Stillhalten verpflichtet wurden, während Mubarak-Hörige auf die Demonstranten einprügelten. Der Sieg der islamischen Revolution im Iran hat sich 1979 wesentlich dem Umstand verdankt, dass Soldaten zu den Gegnern des diktatorischen Schah übergelaufen sind. Ähnliches passierte gerade in Tunesien. Solche Fälle sind allerdings rar, seit die Französische Revolution 1793 die Bürger in Massen zu den Waffen rief, was heute als Beginn der allgemeinen Wehrpflicht angesehen wird. Wenig später etablierte sich Napoleon auf den Spitzen der Bajonette erst als Konsul, dann als Kaiser.

Gleichfalls selten hat ein militärischer Aufstand tatsächlich zu demokratischen Verhältnissen geführt. 1974 beendete die "Bewegung der Streitkräfte" in der Nelkenrevolution die 58 Jahre währende - und von Militärs installierte - Diktatur in Portugal.

Welchen Weg die ägyptische Armee einschlagen wird, liegt im Dunkeln. Sicher ist nur, dass sie dabei ist, die Sympathie, die ihr in der Bevölkerung bisher entgegenschlug, zu verlieren. Ist ihr die Zustimmung der US-Armee, mit der sie enge Zusammenarbeit verbindet, wichtiger? Bisher gab es aus Washington, das auf einen weiterhin stabilen Partner hofft, viel Lob für den "neutralen" Weg der ägyptischen Armee. Wenn irgendein Mäuslein mitgeschrieben hat, werden wir es durch Wikileaks in den kommenden Jahren vielleicht erfahren.