Wehrpflicht für Ultraorthodoxe als Prüfstein für die Regierung.
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Tel Aviv. In Israel steht die Regierungskoalition kurz vor dem aus. Grund ist der Streit um die mögliche Einführung der Wehrpflicht für rund 800.000 ultraorthodoxe Juden, die bisher vom Dienst befreit waren. Jetzt droht Shaul Mofaz von der Kadima erneut mit dem Austritt seiner Partei aus der Regierung von Premier Benjamin Netanyahu, der sie erst im Mai überraschend beitrat.
"Die Kadima wird die Koalition verlassen. Sie ist mit dem Ziel beigetreten, die Wehrpflicht für Ultraorthodoxe durchzusetzen. Wird das nichts, muss sie gehen, um zu überleben", erklärt Yair Sheleg, Experte für jüdische Religion und Politik am Israel Democracy Institute (IDI).
Netanyahu und seine konservativen Koalitionspartner haben der Kadima bereits viele Kompromisse abgerungen, meint Sheleg. Mehr sei kaum möglich. Erst Anfang Juli löste Netanyahu das sogenannte "Plesner-Komitee" auf, das unter Leitung der Kadima Vorschläge für ein Gesetz zur Wehrpflicht aushandeln sollte. Seitdem haben Mofaz und Netanyahu versucht, im Alleingang einen Ausweg zu finden, doch das ist bislang gescheitert.
Ursprünglich forderte die Kadima die Wehrpflicht für alle 18-jährigen ultraorthodoxen Männer bis zum Jahr 2016. Doch nach aktuellem Stand sollen Ultraorthodoxe erst mit 22 Jahren eingezogen werden. Außerdem sollen jedes Jahr etwa 1500 von der Pflicht ausgenommen werden. "Und wenn sie den Dienst verweigern, werden sie nur finanziell abgestraft, nicht strafrechtlich", kritisiert Sheleg. Das würde die Ultraorthodoxen wieder nur in eine privilegierte Stellung gegenüber der restlichen Bevölkerung versetzen, was bisher schon für für viel Unmut gegenüber den Haredim, wie die Ultraorthodoxen in Israel genannt werden.
Neue Verhandlungen
Um im letzten Moment doch noch eine Lösung zu finden, sind am Freitag neue Verhandlungen angelaufen. Liegt jedoch bis Sonntag kein für die Kadima annehmbarer Kompromiss auf dem Tisch, werde sie die Koalition verlassen, erklärte Mofaz. Die Forderung nach einer Wehrpflicht für Ultraorthodoxe ist auch eine Forderung nach einer Umverteilung nationaler Pflichten. Mit durchschnittlich acht Kindern pro Familie sind die Haredim die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe Israels. Sie arbeiten aber weniger als alle anderen. "Ultraorthodoxe geben der Gemeinschaft insgesamt viel weniger als sie sich rausnehmen", sagt der Rabbiner Yoel Finkelman. Nur rund 60 Prozent der Frauen und 45 Prozent der Männer arbeiten. Stattdessen studieren Männer ein Leben lang in Religionsschulen und werden dabei vom Staat finanziert.
Als Sheleg mit 18 Jahren für drei Jahre zum Militär musste, war er selbst streng religiös. Ein spezielles Programm der Armee erlaubte ihm damals, während des Militärdienstes an einer Religionsschule zu studieren. Für viele Haredim wäre jedoch auch dieser Kompromiss zu viel.
Für Netanyahu sei die Unterstützung der Ultraorthodoxen sehr wichtig, meint Sheleg. "Er hat realisiert, dass ihm die Koalition mit der Kadima nichts gebracht hat. Deshalb wird er diese Partnerschaft brechen, und wieder auf Ultraorthodoxe zählen." Diese brauche er auch nach den Wahlen im kommenden Jahr. Wenn er sie nicht sogar vorzieht, um dem jüngst nach einem Korruptionsskandal wieder auferstandenen, Ex-Premier Ehud Olmert, den Wind aus den Segeln zu nehmen.