Es vergeht kaum eine Woche, in der in den USA nicht grundlegende Prinzipien des Völkerrechts in Frage gestellt würden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Seit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump haben aus völkerrechtlicher Sicht ungemein spannende Zeiten begonnen. Das mag einerseits am veränderten weltpolitischen Gefüge liegen, andererseits hat der Präsident selbst sicherlich ebenfalls Wesentliches dazu beigetragen. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht grundlegende und konsolidierte Prinzipien des Völkerrechts in Frage gestellt würden. Dazu gesellt sich eine beunruhigende Geschichtsvergessenheit.
Die neueste Entwicklung betrifft das Verhältnis der USA zu Venezuela. Da deutete das Weiße Haus unter Bezugnahme auf die Verletzung der Menschenrechte und grundlegender demokratischer Spielregeln - aber auch angeblich zum Schutz der nationalen Interessen sowie jener von US-Bürgern - unverhohlen die Möglichkeit einer militärischen Intervention in diesem Land an. Die Tragweite einer solchen Aussage kann gar nicht überschätzt werden. Es ist nicht klar, ob dem US-Präsidenten die rechtliche und die historische Brisanz seiner Aussagen bekannt waren.
Das Gewaltverbot alsgroße Errungenschaft
So stellt das Gewaltverbot sicherlich eine der ganz großen Errungenschaften des Völkerrechts der Gegenwart dar. Dazu gibt es nur wenige, eng umgrenzte Ausnahmen. Die Möglichkeit einer einseitigen humanitären Intervention zählt nicht dazu. Noch weniger ist eine militärische Intervention zum Regierungswechsel (eine sogenannte "Regime Change") zulässig. Es stellte schon einen weitreichenden Paradigmenwechsel dar, dass mit der im Rahmen des UN-Weltgipfels 2005 eingeführten Schutzverantwortung ("Responsibility to Protect") multilaterale Interventionen, das heißt vom Sicherheitsrat autorisierte militärische Maßnahmen, im Extremfall zum Schutz von Menschenleben als zulässig erklärt worden sind.
Die Intervention in Libyen 2011 hat aber auch die Gefährlichkeit solcher Maßnahmen vor Augen geführt, und sie hat auch gezeigt, wie sensibel die Staatengemeinschaft auf eine Überschreitung des UN-Mandats reagiert. Weder die UN-Resolution 1970 noch jene 1973 aus 2011 hatten einen Regimewechsel autorisiert, und dennoch wurde dieser herbeigeführt.
Militärische Interventionen lassen sich regelmäßig nicht maßschneidern. Ein durch die Vereinten Nationen herbeigeführter Regimewechsel ist aber ein Schreckgespenst in weiten Regionen der Erde. Die Erfahrungen mit Libyen haben wesentlich dazu beigetragen, eine Intervention in Syrien zu verunmöglichen. Und nicht zuletzt war der gewaltsam herbeigeführte Sturz der libyschen Regierung unter Muammar al-Gaddafi Ausgangspunkt einer beispiellosen Flucht- und Migrationswelle nach Europa, die letztlich auch die Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Europäischen Asylsystems ins Wanken brachte.
Eine Schutzmaßnahme in Form einer militärischen Intervention kann somit allenfalls durch ein UN-Mandat erfolgen, wobei dieses klar umgrenzt sein muss und keine weitergehenden politischen Ziele verfolgen darf.
Aber nicht nur nach Maßgabe des aktuell geltenden Völkerrechts ist das Andenken einer unilateralen militärischen Intervention in Venezuela höchst problematisch. So dürfte dem US-Präsidenten entgangen sein, dass am Ausgangspunkt der Entwicklung des modernen Gewaltverbots gerade Bemühungen standen, militärische Intervention in Lateinamerika, und pikanterweise gerade auch in Venezuela, für die Zukunft auszuschließen. Es war die berüchtigte "Kanonenboot-Politik" insbesondere einiger europäischer Staaten, die zu einer vehementen Gegenreaktion praktisch der gesamten lateinamerikanischen Staaten führte.
Sind es jetzt die Einhaltung der demokratischen Spielregeln sowie grundlegender Menschenrechte, die in den USA - zumindest rhetorisch - zu militärischen Planspielen führen, so war es um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die schwache Zahlungsmoral der venezolanischen Regierung, die Intervenienten auf den Plan riefen. Die Demütigungen Venezuelas setzten schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Machtdemonstrationen der deutschen und der US-amerikanischen Marine im venezolanischen Souveränitätsbereich ein. Die Venezuela-Blockade von 1902 bis 1903 durch deutsche, italienische, britische und holländische Geschwader, die schließlich die venezolanische Regierung zur Begleichung ihrer Schulden bewegte, ging in die Geschichtsbücher ein. Sie führte aber auch zu Gegenreaktionen, insbesondere der damals wirtschaftlich und militärisch starken Republik Argentinien, deren Diplomat (und Völkerrechtler) Carlos Calvo sich in der Folge vehement für ein verstärktes Interventionsverbot zum Schutz der lateinamerikanischen Staaten einsetzte.
Am Ende dieser Entwicklungen stand schließlich das auf der Haager Konferenz 1907 ausgehandelte, sogenannte Drago-Porter-Abkommen (Horace Porter war der US-amerikanische Delegierte), das Schuldeneintreibung mittels militärischer Maßnahmen strikt untersagte. Das prononcierte Souveränitätsdenken der lateinamerikanischen Staaten sollte fortan die weitere Völkerrechtsentwicklung prägen. Es ist interessant festzustellen, dass sogar jene Regierungen, die dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro gegenüber sehr kritisch eingestellt sind, wie Peru oder Kolumbien, sich nach den Drohungen aus Washington geschlossen hinter Venezuela stellten.
Grenzen des Völkerrechts sind zu akzeptieren
Als Resümee kann festgehalten werden: Zwar ist das konsequente Eintreten für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sehr zu begrüßen, aber das Völkerrecht kennt hinsichtlich des dafür zur Verfügung stehenden Instrumentariums Grenzen, die zu respektieren sind. Und in einer historisch so belasteten Region wie der amerikanischen Hemisphäre sind stets auch die geschichtlichen Dimensionen internationaler Maßnahmen in besonderer Form zu berücksichtigen.
Peter Hilpold ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck und Autor von mehr als 250 Publikationen.