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Militärische Planung

Von Reinhard Göweil aus Brüssel

Politik

Das derzeit in Bau befindliche Nato-Hauptquartier in Brüssel kostet nicht nur deutlich mehr als vorgesehen, es wird auch später fertig.


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Brüssel. Wenn am 4. und 5. September in der walisischen Hafenstadt Newport die Nato ihr Gipfeltreffen abhält, wird es viele heikle Themen geben, aber eines davon ist peinlich. Das in Bau befindliche neue Hauptquartier des westlichen Verteidigungsbündnisses in Brüssel wird nicht nur viel später fertig als geplant, sondern auch deutlich teurer. In Nato-Kreisen ist die Rede von mindestens 200 Millionen Euro, die das Gebäude mehr kosten wird - wahrlich keine planerische Großtat. Ursprünglich war 2003 mit Gesamtkosten von 200 Millionen Euro für die neue Zentrale gerechnet worden. 2010 schließlich wurde der Bau begonnen, damals wurden bereits 750 Millionen Euro angenommen, und eine fixe Kostenobergrenze von einer Milliarde Euro eingezogen. Nun könnte es also noch teurer werden. Auch die geplante Fertigstellung Anfang 2016 wird sich - so interne Nato-Papiere - verzögern, da es immer wieder Probleme mit den Baufirmen gibt. Die Rede ist nun von 2017.

Überdimensioniert

Als Bauherr fungiert das Verteidigungsministerium des Königreichs Belgien, das einen Generalunternehmer beauftragte. Inoffiziell ist zu hören, dass der Auftrag erteilt wurde, weil die belgisch-niederländische Arbeitsgemeinschaft BAM Alliance ursprünglich einen sehr attraktiven Preis anbot. Der hält nun nicht, Belgien musste mehr als 200 Millionen Euro nachschießen, um die Einstellung der Bautätigkeit zu verhindern. Das Geld wird von der Nato an Belgien refundiert. Im Jänner hieß es von Nato-Seite noch offiziell, man vertraue Belgien. Das Vertrauen dürfte angeknackst sein.

Zudem stellt sich heraus, dass der Monster-Bau mit spektakulärer Architektur viel zu großzügig dimensioniert wurde, es wird deutlich weniger Platz benötigt als ursprünglich gedacht. Die gesamte Baufläche liegt bei 224.000 Quadratmetern und umfasst Büros für mehr als 6000 Beschäftigte, Konferenzzentren sowie Sozial- und Sporteinrichtungen.

"Eine militärische Operation sollte so nicht geplant werden", ist sarkastisch in Brüsseler Kreisen zu hören. Denn deutliche Baukostenüberschreitungen gehören in Belgien bei internationalen Großprojekten offenbar zum guten Ton. Auch das neue Gebäude des Europäischen Rates mitten im Brüsseler Europa-Viertel am Schuman sollte seit heuer fertig sein und 240 Millionen Euro kosten. Mittlerweile ist in EU-Kreisen von fast 400 Millionen Euro die Rede, die Fertigstellung wurde auf 2016 verschoben.

Bis dahin wird die neue Nato-Zentrale nicht fertig sein. Natürlich hat die Nato spezielle Sicherheits- und Schutzbedürfnisse, Diplomaten schütteln auch darob die Köpfe. Um die Kosten einigermaßen in Griff zu halten, wurden viele Sub-Unternehmen an der Baustelle eingesetzt. "Sogar afghanische Baufirmen haben wir auf der Baustelle gehabt, das ist doch erstaunlich", sagte ein Nato-Diplomat unter Zusicherung von Anonymität. "Ein bisschen erinnert mich die Sache an den Berliner Flughafen."

Nato-Länder sind sauer

Die Kosten für das Hauptquartier tragen am Ende die 28 Mitgliedsstaaten der Nato. Wenn sich also deren Regierungschefs Anfang September in Newport treffen, wird ihnen eine saftige Rechnung ins Haus flattern. Diese Gipfeltreffen des Nordatlantik-Bündnisses finden etwa alle zwei Jahre statt und dienen eigentlich strategischen Fragen. Dieses Jahr wurde zudem ein neuer Generalsekretär nominiert. Der Däne Fogh Rasmussen hört auf, ab Oktober soll der ehemalige norwegische Regierungschef Jens Stoltenberg die Geschäfte der Nato führen. Er wird - entgegen den ursprünglichen Planungen - nicht nur geopolitische Baustellen, sondern auch eine echte übernehmen, eben das neue Hauptquartier. In Brüsseler Kreisen war zu hören, dass vor allem die großen Mitgliedsländer wie die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland über den Neubau inzwischen schwer verärgert sind. Denn ursprünglich war geplant, dass auch die Vertreter jener Länder, die Partnerschaften mit der Nato eingegangen sind, in die neue Zentrale übersiedeln. Dazu zählt im Rahmen "Partnerschaft für den Frieden" auch Österreich. Ebenfalls Mitglied ist Russland, das daneben noch den "Nato-Russland-Rat" unterhält. Die "Istanbul Coordination Initiative" wendet sich an arabische Länder, der "Mediterranean Dialogue" an nordafrikanische Staaten (wie Ägypten).

Nachdem die Beziehung zu Russland zuletzt deutlich abgekühlt sind, wurden die Nato-Partner aus der neuen Zentrale allerdings wieder ausquartiert - aus Sicherheitsgründen. Das freilich führt dazu, dass etliche der in Bau befindlichen Büroräume leer stehen werden. Denn auch die Erweiterung der Nato (etwa um Georgien oder die Ukraine) wird wohl nicht so schnell passieren. Man wolle Russland damit nicht provozieren, ist aus Brüssel zu hören.

Niemand ist schuld

Der Generalunternehmer, der sich heftigen Vorwürfen seitens der belgischen Regierung ausgesetzt sieht, spielt denn auch den Ball steigender Kosten an die Nato weiter: Viele Änderungen seien nach dem Zuschlag vorgenommen worden, daher die Kostenüberschreitung. In der Nato allerdings schiebt man den Schwarzen Peter ans belgische Verteidigungsministerium weiter - deren Bauaufsicht sei sehr mangelhaft.

Wer also vom Flughafen Brüssel in die Stadt fährt, wird noch längere Zeit an der Nato-Baustelle vorbeifahren, die direkt an der Einfallstraße liegt. Auf der anderen Straßenseite liegt die jetzige Nato-Zentrale, die es wohl noch länger bleiben wird ...