Facebook wird auf 100 Milliarden Dollar geschätzt. | Analysten warnen vor neuer IT-Blase. | Geschäftsmodell muss sich vielfach noch bewähren.
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New York/Wien. Gratis - und doch Milliarden wert: Social-Media-Unternehmen wie Facebook, Twitter oder LinkedIn entfachen eine Euphorie, wie sie die IT-Branche seit dem vergangenen Jahrtausend nicht mehr gesehen hat. Der Glaube an ein starkes Wachstum, zukunftsträchtige Märkte und glänzende Profitaussichten lassen die Herzen vieler Anleger höher schlagen. Noch gibt es keine verlässlichen Termine für die Börsengänge der Branchengiganten Facebook und Twitter. Und doch sind sich Anleger und Analysten einig, dass man sich dabei auf Rekordjagd begeben wird. 100 Milliarden Dollar soll Facebook wert sein, immerhin acht Milliarden könnte Twitter an der Börse einsammeln. Zum Vergleich: Der größte Börsengang der Geschichte, jener von General Motors im Jahr 2010, brachte 23,1 Milliarden Dollar ein. Geschrieben ist diese Erfolgsgeschichte allerdings noch nicht - denn es gibt noch viele offene Fragen.
Wenn die Anlegererwartungen dreistellige Milliardenbeträge erreichen, mag das verwegen scheinen. An Gründen dafür mangelt es freilich nicht: "Die Branche ist relativ neu, es gibt wenige Titel, die investierbar sind. Das Interesse ist gleichzeitig sehr groß, weil man sich weiteres Wachstum erwartet", erläutert Leopold Salcher, Analyst bei Raiffeisen Capital Management, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Und verweist dabei auf den noch jungen Börsengang des Social Media-Unternehmens LinkedIn.
Als das US-amerikanische Karriere-Netzwerk im Mai dieses Jahres an die Börse gebracht wurde, war der Ansturm der Anleger enorm. Noch am ersten Tag verdoppelte sich der Wert des Unternehmens, das bei Börsenschluss auf 8,9 Milliarden Dollar taxiert wurde - und damit auf das 600-Fache seines Vorjahresgewinns.
Ein Ereignis, das angesichts der zu erwartenden Börsengänge von Facebook und Twitter bei vielen Marktbeobachtern die Alarmglocken schrillen lässt. "Natürlich ist das ein Hype, den wir gerade erleben. Wir haben ein ähnliches Phänomen wie in der Dotcom-Zeit", erinnert Evrim Sen, Chefredakteur des "Social Media Magazin", an die letzte Boomphase der IT-Branche, die 2000 mit dem Platzen der Dotcom-Blase ihr jähes Ende fand. "Es gibt unglaubliche Parallelen. Aber Blase sehe ich keine. Denn diesmal haben wir eine ordentliche Portion Gesellschaft dazubekommen", so Sen im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Er spielt auf die Hunderten Millionen Nutzer an, die an sozialen Netzwerken teilnehmen und damit für eine gewisse Stabilität der an die Börse drängenden, noch jungen Unternehmen sorgen sollen.
Einkünfte stehenund fallen mit Nutzern
Ob im Augenblick beeindruckende Teilnehmerzahlen Garant für stabilen Erfolg ist, ist indes ungewiss. Denn das Geschäftsmodell vieler Social-Media-Anbieter beruht auf nur einem Standbein: den Kundendaten. Egal, ob die ermittelten Nutzerprofile für die zielgerichtete Schaltung von Werbung auf der eigenen Seite wie bei Facebook oder für den Verkauf an (Werbe-)Unternehmen, wie dies Twitter plant, herangezogen wird - ohne aktive Nutzer nehmen die Anbieter nichts ein.
Und genau hier offenbart sich eine Schwäche der sozialen Netzwerke: "Werbung wird sich immer dort aufhalten, wo der Konsument ist", bringt Sen die Problematik auf den Punkt. Gerade in der schnelllebigen Zeit des Internets, das äußerst kurzlebige Produktzyklen aufweist, sind Nutzer geneigt, den Anbieter schnell zu wechseln, wenn ein besseres Angebot auf den Markt kommt.
"Die nächsten zwei, drei Jahre sehen gut aus bei Facebook", meint Sen. "Aber wir wissen nicht, was in fünf Jahren mit Facebook passieren wird. Es gibt neue technische Modelle, die das gesellschaftliche Verhalten ändern. Google Plus zeigt, dass Second Mover kommen werden. Es wird eine Sättigungsphase bei Usern einsetzen. Da ist nichts für die Ewigkeit", so der Social-Media-Experte.
Informationslücken erschweren Bewertung
Sind die Einschätzungen der Märkte also auf Sand gebaut? Die auffallend hohen Bewertungen könnten laut Salcher einem Informationsdefizit geschuldet sein: "Das Problem ist, dass man sehr wenig weiß. Viele Informationen sickern nur durch. Man weiß eigentlich nicht genau, welche Erlöse sie (soziale Netzwerke, Anm.) haben. Dass sie stark wachsen, ist anzunehmen. Man kann nur rudimentäre Einschätzungen treffen." Dass diese falsch sein müssen, steht keineswegs fest. Schließlich macht etwa Facebook mit 750 Millionen Nutzern geschätzte zwei Milliarden Dollar Umsatz und schreibt solide schwarze Zahlen. So soll auch Österreichs Vorzeigemarke Red Bull Kooperationspläne mit Facebook hegen - und dementiert dies freilich.
Ob gute Eckdaten jedoch eine Bewertung von 100 Milliarden Dollar rechtfertigen werden? Salcher ist jedenfalls vorsichtig: "Bei 100 Milliarden Dollar traue ich mich zu sagen, dass das schon sehr kühn ist."