Allen Spekulationen sollte wohl rasch der Wind aus den Segeln genommen werden: "Es war ein Herzinfarkt, der Patient litt schon länger an Koronarinsuffizienz" gaben die Gerichtsmediziner schon einen Tag nach dem Ableben von Kenneth Lay bekannt. Lay, Gründer und ehemaliger Chef des Skandalkonzerns Enron, war erst vor wenigen Wochen für schuldig befunden worden, das gigantische Lügengebäude mit errichtet zu haben, mit dessen Hilfe der Konzern bis kurz vor der Pleite 2001 Schulden in Höhe von 40 Milliarden Dollar hatte verschleiern können.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Lay drohten mehrere Jahrzehnte Haft - bei einem Alter von 64 Jahren. Das Strafmaß sollte am 23. Oktober verkündet werden. Bis dahin befand sich Lay gegen Kaution auf freiem Fuß und bereitete in seinem Sommerhaus in den Rocky Mountains seine Berufung vor - im Prozess hatte er die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen "lächerlich" genannt und sich als Opfer einer "Hexenjagd" der Medien und der Staatsanwaltschaft gesehen.
Die Jury des Gerichts in Houston im US-Bundesstaat Texas schenkte Lays Unschuldsbeteuerungen keinen Glauben: Sie verurteilte ihn wegen Betrugs und Verschwörung. Bereits vor dem Prozess war er für viele zum Inbegriff der Arroganz, Selbstüberhebung und Schamlosigkeit geworden. Besonders negativ kreiden es viele Lay an, dass er kurz vor dem Bankrott seine eigenen Konzern-Aktien für mehr als 300 Millionen Dollar abstieß, zugleich aber seine Angestellten ermutigte, noch mehr Geld in die Firma zu stecken.
Durch die Mega-Pleite mit Milliardenverlusten für Börseanleger - dem nach dem Kollaps des Telefongiganten WorldCom bis heute zweitgrößten Konkurs in den USA - verloren tausende Beschäftigte ihren Job - und viele noch dazu ihre in Firmenaktien angelegte Altersversorgung.
Geboren 1942 als Sohn eines Baptistenpredigers in ärmlichen Verhältnissen in Missouri, galt Lay lange als ein Inbegriff des amerikanischen Traums - vom Werkstudenten zum Chef des siebentgrößten US-Konzerns mit einem Börsenwert von fast 70 Milliarden Dollar. Aus einem eher beschaulichen Gas-Pipelinebetreiber hatte er im frisch deregulierten US-Energiemarkt einen der größten und dynamischsten Händler gemacht, ein Symbol der "New economy" der gierigen 90er-Jahre. Er zeigte sich als Big Spender in Houston und sponserte unter anderem 2000 den Wahlkampf von George W. Bush. Der ging zu "Kenny Boy", wie er ihn damals kumpelhaft nannte, nach der Pleite allerdings auf Distanz. Bush-Sprecher Tony Snow wollte nichts dazu sagen, wie der Präsident die Todesnachricht aufnahm: "Der Präsident hat Ken Lay als Bekannten bezeichnet. Und viele Bekannte des Präsidenten sind während seiner Amtszeit gestorben." Dieser Bekannte allerdings, so die "Financial Times", hat jetzt wohl die mit der angekündigten Berufung doch noch erwartete "full story" darüber, was wirklich bei Enron passierte, mit ins Grab genommen.