Kapitalbedarf noch offen - Geldinstitute sind am Rechnen. | In Österreich bis zu 33 Milliarden nötig? | Wien/Basel. Es war ein hartes Stück Arbeit, und da die Banken immer wieder eifrig lobbyiert haben, hat es auch so lange gedauert. Doch nun - zwei Jahre nach dem für die Welt so folgenschweren Crash von Lehman Brothers - haben die internationalen Finanzwächter ihr Reformwerk für die Eigenkapitalausstattung von Banken aus der Taufe gehoben. Entsprechend den neuen Vorschriften (Basel III) müssen Banken als Lehre aus der Krise wesentlich mehr Kapital halten, um künftige Turbulenzen alleine und ohne gigantische Staatshilfen meistern zu können.
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Wie hoch der zusätzliche Bedarf an Kapital weltweit sein wird (Basel III soll ab 2013 mit Übergangsfristen gelten), ist noch unklar. Die Banken rechnen und analysieren gerade. Klar ist nur, dass sie ihre eiserne Reserve in Summe um viele Hundert Milliarden Euro aufstocken werden müssen.
Für die Institute in Österreich geht die Nationalbank (OeNB) von einem "Milliardenbetrag in niedriger zweistelliger Höhe" aus, wie es am Montag auf Anfrage der "Wiener Zeitung" hieß. Das wären also etwas mehr als zehn Milliarden Euro. Indes kommt die Bank Austria zu einem ganz anderen Ergebnis. Aufgrund der künftigen Regeln, auf die sich der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht am Sonntag einigte, hat sie einen Gesamtbedarf von 15 bis 33 Milliarden Euro ermittelt.
"Ein großer Brocken"
Grundsätzlich gelten heimische Institute im Vergleich zur internationalen Konkurrenz als nicht gerade üppig kapitalisiert. "Für viele Banken wird das trotz der längeren Übergangsfristen ein großer Brocken sein", meint ein Insider, der namentlich nicht genannt werden will. Noch am besten stehen die Bank Austria, die Erste und Raiffeisen da.
Zu den neuen Vorschriften gehört, dass Banken bis 2015 ihre Kernkapitalquote von 4 auf 6 Prozent erhöhen müssen (siehe Grafik). Die Kernkapitalquote definiert das Verhältnis des Kapitals einer Bank zu deren risikobehafteten Geschäften (Kredite und Geldanlagen). Gleichzeitig muss die Quote für hartes Kernkapital bis 2015 von 2 auf 4,5 Prozent steigen. Zusätzlich müssen sich Banken bis dahin zum Schutz vor neuen Krisen einen Kapitalpuffer von weiteren 2,5 Prozent schaffen. Einen solchen hatte es bisher nicht gegeben (weitere Details siehe untenstehenden Wissenskasten).
So wie Finanzminister Josef Pröll begrüßt auch Notenbank-Chef Ewald Nowotny die verschärften Kapitalregeln. Beide sind sich darin einig, dass die Finanzmärkte damit weiter stabilisiert werden. Basel III werde die Banken krisenfester machen, sagte Nowotny am Montag im ORF-Radio. Die neuen Regeln würden die Banken zwingen, vorsichtiger und weniger riskant zu agieren.
Die Zeiten, in denen große Räder mit wenig oder gar keinem Eigenkapital gedreht wurden (vor allem in den USA), sind somit vorbei. Nowotny rechnet fix damit, dass diesmal auch die USA die Basel-Regeln einführen. Europäische Banken könnten trotzdem gewisse Nachteile bekommen (davor warnt auch Pröll), weil der Kapital-Begriff in Amerika anders definiert sei. Für die Angleichung dieser Definition seien jedoch lange Übergangsfristen festgelegt worden, so Nowotny.
Werden Kredite teurer?
Insgesamt sieht der OeNB-Chef die Verschärfungen im neuen Kapitalregime weniger dramatisch ausgefallen als von vielen Bankern befürchtet. Dass in Österreich dadurch tausende Jobs im Bankensektor bedroht sein könnten, davon könne keine Rede sein.
"Tendenziell wird es zwar weniger Kredite geben", erklärt Nowotny. Doch diese würden in Kategorien fallen, "die wir ohnehin nicht wollen", weil sie besonders riskant seien. Zu einer Kreditklemme werde es deshalb aber sicher nicht kommen. Ob sich für Kunden Bankdienste verteuern, wird laut dem OeNB-Chef eine "Frage des Wettbewerbs" sein.
International soll Basel III im November beim Gipfel der 20 weltweit wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in Seoul formell abgesegnet werden. Auf europäischer Ebene müssen die neuen Standards dann noch durch den EU-Rat und das EU-Parlament beschlossen werden. Ob das noch heuer sein wird, war zuletzt fraglich. Offen ist vor allem die Frage der systemrelevanten Banken. Diskutiert wird ein "Zuschlag" von bis zu 2 Prozent für große Institute.
Wissen
(mel) Die Grundsätze der neuen Eigenkapitalregeln für Banken scheinen geklärt, einige - mitunter entscheidende - Details sind jedoch noch offen. Feststeht, dass sich die Kreditinstitute künftig nicht nur an höhere Mindestkapitalgrenzen, sondern auch an eine Vielzahl einzelner Limits gewöhnen müssen.
Ungleich größere Beachtung als bisher erhält das sogenannte harte Kernkapital, das nur aus - von den Eigentümern - einbezahltem Kapital und aus einbehaltenen Gewinnen besteht. Diese Art des Kapitals gilt als besonders geeignet, auftretende Verluste abzufedern, da die jeweilige Bank frei darauf zurückgreifen kann. Die Mindestquote für das harte Kernkapital wird nun von 2 auf 4,5 Prozent der risikogewichteten Aktiva erhöht, gleichzeitig steigt die Quote für das sogenannte Tier-1-Kapital - die qualitativ nächsthöhere Kapitalform - von 4 auf 6 Prozent.
Mehrere Zusatzpuffer
Beim anstehenden Kapitalaufbau der Kreditinstitute dürfte die Tier-1-Quote jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielen: Ziel der Banken wird sein, einen zusätzlichen sogenannten Kapitalerhaltungspuffer von 2,5 Prozent anzulegen. Dieser hat aus hartem Kernkapital zu bestehen, womit das nötige Volumen dieser reinsten Art von Eigenkapital auf sieben Prozent ansteigt. Ist der Kapitalerhaltungspuffer nicht vollständig vorhanden, darf das betroffene Kreditinstitut nur noch eingeschränkt Dividenden ausschütten.
Zusätzlich vorgesehen ist ein sogenannter Antizyklizitätspuffer von bis zu 2,5 Prozent. Dessen Aufbau kann den Banken im Fall eines exzessiven Kreditwachstums von der Finanzaufsicht des jeweiligen Staates verordnet werden. Auf diese Weise sollen sich Banken bereits im Vorfeld für das spätere Platzen einer möglichen Spekulationsblase wappnen. Die Mindest-Eigenkapitalquote - gemeint sind sämtliche Kapitalformen - bleibt bei den jetzigen acht Prozent.
Neben den nach dem Geschäftsrisiko ausgerichteten Quoten soll es auch eine Kapitalgrenze geben, die ohne rechnerische Gewichtungen und Bonitätsratings auskommt: Eine Verschuldungsquote sieht vor, dass Banken maximal das 33-Fache ihres Tier-1-Kapitals an Fremdkapital aufnehmen dürfen. Hierfür läuft allerdings zunächst ein mehrjähriger Beobachtungszeitraum.
Lange Übergangsfristen
Letzteres gilt auch für eine Liquiditätsquote und eine Refinanzierungsstabilitätsquote. Beide zielen darauf ab, dass Banken über eine stabile Refinanzierungsstruktur verfügen und im Krisenfall nicht austrocknen. Während sich die Liquiditätsquote an möglichen Mittelabflüssen innerhalb eines Monats orientiert, setzt die Refinanzierungsstabilitätsquote bei den Refinanzierungsnotwendigkeiten innerhalb eines Jahres an.
Während es hier konkrete Überlegungen gibt, die ausgetestet werden können, scheinen mehrere wichtige Punkte noch ungeklärt: So soll es für systemrelevante Banken künftig besondere Auflagen geben - unter anderem wird über Kapitalerfordernisse, die über die zuvor genannten noch hinausgehen, nachgedacht. Für Österreich ergibt sich daraus die spannende Frage, ob alle heimischen Großbanken davon betroffen wären oder nur jene, die auch auf europäischer Ebene als systemrelevant gelten.
Ebenfalls von großer Relevanz für Österreichs Banken (Raiffeisen, Volksbanken, Erste/Sparkassen) ist der noch nicht beantwortete Punkt, ob Genossenschaftsanteile und Kapital aus Minderheitsbeteiligungen sowie sogenanntes Hybridkapital künftig als Tier-1-Kapital gelten.
Kapitalbestandteile, die in Zukunft nicht mehr angerechnet werden können, laufen ab der Implementierung der Basel-III-Reform 2013 über zehn Jahre hinweg aus. Erteilte Staatshilfen für Banken - laut Nationalbank auch das in Österreich gängige Partizipationskapital - können noch bis 1. Jänner 2018 voll geltend gemacht werden. Die diversen Kapitalquoten treten ab 2013 stufenweise in Kraft und erreichen 2019 volle Wirksamkeit.