Die EU will Schadenersatz für alle. | Industrieverbände befürchten Zustände wie in den USA. | Brüssel. EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes holt zum nächsten Schlag gegen Kartellsünder aus: Durch künstlich überhöhte Preise sollen Geschädigte künftig großzügig abgefunden werden. Dafür arbeitet die Kommission an einem neuen EU-Gesetz, nach dem Sammelklagen gegen Kartelle drastisch vereinfacht werden sollen.
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Oft sind die Schäden einzelner nämlich ziemlich gering und rechtfertigten kaum ein Gerichtsverfahren. Der illegal lukrierte Gewinn der Konzerne ist dagegen fast immer beträchtlich. Wie in den USA könnten Verbände daher künftig pauschal für eine Gruppe von möglichen Kartellopfern vor Gericht ziehen dürfen.
Zwar überbietet sich die Kommissarin Kroes mit immer neuen Rekordstrafen wegen Verstößen gegen das EU-Wettbewerbsrecht; zuletzt wurde Intel mit 1,06 Milliarden Euro zur Kasse gebeten. Trotzdem kommen die Konzerne, die Kartelle bilden oder ihre marktbeherrschende Stellung missbrauchen, immer noch zu günstig weg, findet sie.
Selbst Bußgelder in der Höhe von hunderten Millionen Euro scheinen ihr noch wohlfeil im Vergleich zum Schaden, den Kartelle anrichten. Denn diese kosteten ihre Kunden mindestens 13 Milliarden Euro pro Jahr, schreibt die Kommission in einer Studie - möglicherweise seien es sogar "mehr als 37 Milliarden Euro".
Wirtschaft ist erbost
Opfer seien "üblicherweise Konsumenten oder Klein- und Mittelunternehmen", heißt es in dem Gesetzesentwurf, der zur Zeit noch intern besprochen wird und der "Wiener Zeitung" vorliegt. Noch vor der Sommerpause will Kroes den Richtlinienvorschlag präsentieren.
Bereits seit geraumer Zeit laufen Industrieverbände Sturm dagegen. Sie befürchten Zustände wie in den USA, wo allein mit Schadensersatzklagen geschätzte 250 Milliarden Dollar (181 Milliarden Euro) pro Jahr umgesetzt werden.
Knackpunkt ist eine Bestimmung, nach der Verbraucher- und Klein- und Mittelunternehmer-Verbände die Gruppe der potenziell Geschädigten selbst definieren dürften und diese nicht individuell auflisten müssten.
Wollte sich jemand nicht der Schadensersatzklage anschließen, müsste er aktiv aus der vertretenen Gruppe austreten. Es handelt sich um die sogenannte Opt Out-Variante, welche auch in den USA gängige Praxis ist. Um den von der Kartellopfer-Gruppe erfassten Konsumenten und Unternehmen die Möglichkeit zum Austritt zu geben, müsste der klagende Verband "die geeigneten Mittel ergreifen, um die Sammelklage allen bekannt zu machen, die Schadenersatzansprüche haben könnten" - denkbar wären etwa großflächige Zeitungsinserate.
Dass die niederländische Kommissarin auf die Opt Out-Variante setzt, erbost die Industrieverbände besonders. Sie hätten selbstverständlich am liebsten gar keinen EU-Gesetzesvorschlag für Sammelklagen. Ist dieser aber nicht zu verhindern, so wären sie für die Opt In-Version. Das hieße, jeder Geschädigte müsste sich aktiv darum bemühen, vom klagenden Verband vertreten zu werden.
Keine Verschleppung
Für Österreich hieße die neue Richtlinie unter anderem, dass laut dem Entwurf die Verjährungsfrist für Schadensersatz zumindest auf fünf Jahre ausgeweitet werden müsste. Derzeit beträgt sie hierzulande drei Jahre und ist einer der Hauptgründe, warum sich Gerichtsverhandlungen mit hohem Streitwert im Endeffekt fast nur außergerichtlich regeln lassen. Die Möglichkeiten zur Verschleppung der Verfahren über die Verjährungsfrist hinaus durch die Angeklagten seien vielfältig, sagte ein Experte.