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Milliardenquiz: Rat mal, wer den Krieg gewinnt?

Von Christa Karas

Politik

Verschwörungstheorien gibt's immer. Sie entstehen aus Desinformation, Missverständnissen, Halbwissen und Geheimniskrämerei, kurz, immer dann, wenn die Wahrnehmung der Realität getrübt ist. In Krisenzeiten und mit den Mitteln moderner Kommunikationstechniken können sie sich zur Massenparanoia auswachsen. Die Irak-Krise und die US-Rüstungsindustrie bieten dafür ein anschauliches Beispiel. Betroffen sind hier gleich mehrere Bereiche - Politik, Militär und ein besonderer Wirtschaftszweig -, auf denen schon üblicherweise ganz fest der Deckel drauf ist, es sei denn, man ist Investor oder gehört zum engsten Kreis. An die Öffentlichkeit - und das gilt sogar für den US-Kongress - gelangen allenfalls strikt gefilterte Informationen.


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Wer sich derzeit auf die Suche nach den harten Fakten macht, gerät deshalb sofort in einen Strudel aus blankem Unfug und Null-Information, aus dem ihn nur die Kollegen in Übersee retten. Denn, seien wir fair - auch das ist Amerika: Erstklassiger, seriöser und kritischer Journalismus vom Feinsten. Weil auch die Journalisten dort traditionell der ungeschriebenen Präambel verpflichtet sind, derzufolge in der Regel jeder Intellektuelle per se in Opposition zur jeweiligen Regierung steht.

In der vergangenen Woche wurde an dieser Stelle über die Massenvernichtungswaffen berichtet, die Amerika in petto hat. Heute geht´s um die Frage, wer damit den Krieg gewinnt - nämlich jenen um die größten zu vergebenen Anteile im Budget - oder vielmehr, wer am meisten daran verdienen wird. Also Lockheed Martin, Northrop Grumman, Boeing, Raytheon oder General Dynamics?

Verluste in der Hand

Bei ihnen handelt es sich um jene fünf Konglomerate, die nach massiven Umstrukturierungen die Hand bilden, die Rüstungsindustrie heißt. Die Hand kann schon deshalb nicht verlieren, weil sie als (einzigen) Auftraggeber das Pentagon hat und mit diesem so eng verflochten ist, dass man in den Führungsetagen sogar die Mitarbeiter tauscht oder teilt. Ihre Gewinne sind, wie berichtet, aber dennoch nicht so groß, weil mehrere Zehntausende bei ihr im Brot stehen und weil das Pentagon die Preise diktiert.

Andererseits reichten in der Vergangenheit schon Andeutungen eines bevorstehenden Krieges, um die Aktien in die Höhe zu treiben. In den Monaten nach 9-11 stiegen Northrop von 82 auf 135, Lockheed Martin von 38 auf 71 und General Dynamics von 75 auf 111 Dollar (Quelle: Carsten Volkery, New York, "Spiegel-online".) Der Boom war allerdings nur von kurzer Dauer. Zum ausbleibenden Krieg kamen die erschreckenden Bilanzen der Finger ein Jahr danach, etwa 160 Mill. Dollar Verlust bei Northrop Grumman - immerhin die zweitgrößte Rüstungsfirma der USA - und gar 432 Mill. "Miese" bei Raytheon. - Somit ist völlig offen, wie sich die Anleger jetzt verhalten werden.

Den Ausschlag dafür kann unmittelbar nur das Pentagon geben, das die Anleger zuletzt freilich herb enttäuschte, als seine Ausgaben unter deren Erwartungen blieben. Und das rüstungstechnische Entscheidungen getroffen hat, die zwar der Arbeitssicherung dienen mögen, sonst aber - wie etwa der Bau der atomgetriebenen "USS Reagan", des neunten Flugzeugträgers der Nimitzklasse - umstritten sind und u. a. Northrop Grumman in die roten Zahlen brachte.

"The ex-presidents´ club"

Carlyle könnten derartige Flops nicht mehr so leicht und schon gar nicht ohne Absicherung unterlaufen. "The ex-presidents´ club", wie Oliver Burkeman und Julian Borger in der online-Version des "Guardian" das undurchsichtigste Konglomerat in diesem Krieg nennen, verfügt über Wettbewerbsvorteile wie sonst niemand. Und ist nicht nur von daher aus dem Stoff, den Verschwörungstheoretiker in ihren krudesten Alpträumen erfunden haben könnten.

Zunächst einmal schon deshalb, weil die Carlyle Group nicht auf Waffen fokussiert, sondern als Investmentunternehmen in vielen Bereichen agiert. Dazu gehören Flugkraft und Verteidigung, aber auch Krankenhausbedarf, Telekommunikation, Transportwesen, Energie- und Informationstechnik u. a. m. Seit der Gründung im Jahr 1987 hat sich Carlyle zum größten derartigen, auf Diversifikation spezialisierten Unternehmen mit mehr als 550 Investoren aus 55 Ländern, 21 Niederlassungen in den USA, Europa, Asien und Japan sowie einem Fondskapital von rund 14 Mrd. Dollar entwickelt.

Noch faszinierender wurde Carlyle indessen durch seine Personalauswahl für die leitenden Funktionen: George Bush sen., US-Präsident von 1988 bis 1992, zuvor CIA-Direktor: Senior Advisor. James A. Baker, u. a. Außenminister und Schatzkanzler unter Bush sen. bzw. Reagan: Senior Counselor. Fidel Ramos, vormals Präsident der Phillipinen: Carlyle Asia Advisory Board. John Major, vormals britischer Premierminister: Carlyle Europe Chairman. Richard G. Darman, Budgetchef im Weißen Haus unter Bush sen. und Bill Clinton: Senior Counselor. Arthur Levitt von der Weltbank: Senior Advisor. Und so weiter.

Vorteilhafte Verbindungen

Seit kurzem schmückt sich das Unternehmen in seiner Selbstdarstellung zwar nicht mehr offiziell mit all diesen Namen (Bush und Ramos etwa tauchen nicht mehr auf) - die Optik wurde denn wohl doch zu schief, nachdem Journalisten vor über einem Jahr darauf hingewiesen hatten. Aber es darf als gesichert gelten, dass die daraus entstandenen Verbindungen dauerhaft und von großem Vorteil für alle sind.

Und auch der Stammsitz von Carlyle in Washington liegt so günstig, dass sich wichtige Beziehungen leicht pflegen lassen, nämlich zwischen dem Weißen Haus und dem Capitol.

Fasst man es kurz zusammen, ergibt sich eine Firma, die auch unter anderen Namen Waffen produzieren kann und die über ihre Connections zu Entscheidungsträgern hervorragend informiert ist. Hinzu kommt, abgesehen von den personellen "Aushängeschildern", ein Kader an tatsächlichen Führungskräften, deren Lebensläufe von cum laude-Auszeichnungen und Phi Beta Kappa-Zugehörigkeiten gekennzeichnet sind.

Das Genie F. Carlucci

Das größte As unter ihnen ist indessen Frank C. Carlucci, Chairman des Unternehmens, im Kalten Krieg geschulter Geheimdienststratege und unter Reagan sogar einmal Verteidigungsminister, der stets nur nach seinem Prinzip handelte, demzufolge nur einer den vollen Überblick haben sollte (womit keineswegs der Präsident gemeint war) und der jede Art von Information der Öffentlichkeit hasst wie die Pest.

Für Carlyle ist sein Wissen unschätzbar wertvoll. Und das nicht nur deshalb, weil er seinen Intimfreund aus Ivy League-Tagen, Verteidigungsminister Donald "Don" Rumsfeld davon überzeugen konnte, der Carlyle-Tochter United Defense mit 11,2 Mrd. Dollar unter die Arme zu greifen, als diese beinahe auf 482 schwerfälligen und technisch veralteten Crusader-Panzerhaubitzen sitzen geblieben wäre. - So zählt Carlyle mit United Defense, wenn auch nur auf Platz 11 der US-Rüstungsindustrie, jedenfalls schon jetzt zu den Gewinnern.