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Millimeter für Millimeter

Von Walter Hämmerle

Politik

Schützenhöfer: Absage an "Rundumversorgung durch Sozialstaat".


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"Wiener Zeitung": Vier Landtagswahlen und eine Volksbefragung sind geschlagen: Wie ist die ÖVP für den anlaufenden Nationalratswahlkampf aufgestellt?Hermann Schützenhöfer: Die Stimmung ist momentan auf unserer Seite, die Menschen sehen die ÖVP am aufsteigenden Ast. Aber das dürfen wir nicht falsch interpretieren: Wer glaubt, damit allein lasse sich eine Nationalratswahl gewinnen, irrt sich gewaltig . . .

Zumal ja die Volkspartei bei allen vier Wahlen Stimmenprozente verloren hat, zwei Mal, in Tirol und Salzburg, sogar historische Tiefstände verzeichnen muss.

Stimmenanteile um die 50 Prozent, wie sie etwa Erwin Pröll in Niederösterreich erreicht, sind zur Ausnahme geworden, überall sonst befindet sich Österreich am Weg in die europäische Normalität. Es stimmt, die ÖVP hat nicht zugelegt, aber die Ausgangslage war, dass Günther Platter in Tirol abgewählt und Gabi Burgstaller Salzburg noch einmal für die SPÖ halten kann. Jetzt sitzt Platter fest im Sattel, und die ÖVP ist in Salzburg stärkste Partei. Das ist gut für die Stimmung in der ÖVP, aber kein ernsthafter Gesprächspartner wird sagen, "jetzt sind wir auf der Siegesstraße", denn abgesehen von Niederösterreich war da kein Sieg dabei.

Was muss die ÖVP tun, um bei den Nationalratswahlen stärkste Partei zu werden?

Aus meiner Sicht hat sich auf diesem Weg bereits einiges getan: Parteiobmann Michael Spindelegger kommt Millimeter für Millimeter an Faymann (Bundeskanzler Werner; Anm.) heran; das ist auch besser, als wenn es Bocksprünge wären.

Die beiden ÖVP-Minister Nikolaus Berlakovich und Maria Fekter stehen seit Wochen im Kreuzfeuer der Kritik. Wie zufrieden sind Sie mit der politischen Arbeit der beiden?

Ich wünsche beiden, dass sie ihre Performance schärfen und verbessern können. Beide haben aber als Minister meine volle Unterstützung, zumal ja in den Medien hier etliches übertrieben wird.

Sie zelebrieren in der Steiermark mit Landeshauptmann Voves eine Reformpartnerschaft. Im Wahlkampf für die Landtagswahlen 2015 sollen dann die ideologischen Unterschiede zwischen den beiden Parteien herausgearbeitet werden. Das dürfte einigermaßen schwierig werden, wenn man bedenkt, dass etwa VP-Landesrätin Edlinger-Ploder für die Einführung der Erbschaftssteuer plädiert, um die Finanzierungsprobleme bei der Pflege zu beheben. Eigentlich eine klassische SPÖ-Argumentation, oder?

Das ist nicht die Linie der ÖVP, aber die Diskussionskultur und das Prinzip der freien Meinungsäußerung sind in der steirischen ÖVP traditionell sehr ausgeprägt. Wichtig ist, dass Vorschläge gemacht werden, die Erbschaftssteuer wird es aber nicht werden. Die Pflege wird für die Österreicher zunehmend zu einer Art zweiter Pension, insgesamt belaufen sich die Kosten bereits auf acht Milliarden Euro - hier muss etwas geschehen, sei es als freiwillige Pflegeversicherung, als Pflichtversicherung oder durch Steuern finanziert. Wir brauchen dringend eine Bundesregelung.

In kurzen, leicht verständlichen Sätzen: Worin unterscheidet sich eigentlich die ÖVP von der SPÖ?

Die ÖVP ist eine Wirtschaftspartei, welche die Rahmenbedingungen insbesondere auch auf steuerlicher Ebene für die Wirtschaft so gestalten will, dass Unternehmen in Österreich investieren und Arbeitsplätze schaffen. Wenn es ohne Mehrverschuldung geht, bin ich auch für eine steuerliche Entlastung des Mittelstands. Nur wenn Arbeitsplatze geschaffen und gesichert werden, kann auch der Sozialstaat gerettet werden - für diejenigen, die ihn brauchen, nicht für diejenigen, die es sich immer schon gerichtet haben. Das ist der Hauptunterschied zur SPÖ. Die Rundumversorgung durch den Sozialstaat ist nicht mehr möglich, deshalb müssen wir uns davor hüten, im Wahlkampf etwas zu versprechen, was anschließend niemand bezahlen kann. Wir müssen uns endlich dazu bekennen, dass Österreich ein Schuldenstaat ist. Zuerst muss das Budget in Ordnung gebracht werden.

SPÖ und ÖVP wollen die Zahl der steirischen Gemeinden von derzeit 539 auf 285 fast halbieren; dagegen regt sich teils erheblicher Widerstand. Werden Sie hier einlenken, können es am Schluss auch nur 350 Gemeinden werden?

Festgelegt ist das Ziel, dass es ab 2015 nur mehr 285 Gemeinden gibt; ob es am Ende dann aber 305 oder 284 sind, das wissen wir nicht, wir alle sind irrtumsfähig. Entscheidend ist: Der große Wurf steht, was dann abgeändert wird, muss begründbar sein. Nur dann kann man es auch abändern.

Ein Thema, über das weder auf Landes- noch auf Bundesebene gerne geredet wird, ist die anhaltende Malaise der Gebietskrankenkassen. Fünf der neun GKK schreiben ein strukturelles Minus, die steirische GKK allein rund 16 Millionen Euro. Was soll hier geschehen?

Diese Frage ist bei uns sehr wohl auf der Tagesordnung. Hier spielen die Spitäler eine entscheidende Rolle: Schweden ist fünfmal so groß und hat etwa gleich viele Einwohner wie Österreich (9,5 zu 8,4 Millionen; Anm.), hat aber nur 84 Spitäler, während wir rund 270 haben. Budgetsicherung, Pensionssicherung, Pflege und Gesundheit mitsamt dem Thema Spitäler sind die zentralen Herausforderungen für die nächste Bundesregierung, egal, welche Parteien mit dabei sind.

Sie sind 61, werden Sie bei den kommenden Landtagswahlen 2015 noch einmal antreten?

Das werde ich gemeinsam mit Franz Voves besprechen, wir haben das beide noch nicht entschieden.

Also gemeinsam oder gar nicht?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der eine kandidiert und der andere nicht. Wir werden das miteinander entscheiden.

Buchtipp

Im Steirischen Jahrbuch für Politik 2012, herausgegeben vom Grazer Soziologen Manfred Prisching, beschäftigen sich 62 Autoren u.a mit den Reformen in der Landespolitik, der unterschiedlichen Entwicklungen bei den Fußballklubs Sturm und GAK, der Krise der EU, neuen Konzepten für Schule und Lehrerausbildung und Problemen der Gesundheitspolitik. (340 Seiten, 19 Euro).