Albert Rohan, Generalsekretär im Außenministerium, reiste kürzlich im Rahmen des österreichischen OSZE-Vorsitzes als Sonderbeauftragter für Südosteuropa nach Montenegro und Bosnien-Herzegowina. In | einem Interview mit der "Wiener Zeitung" nimmt er zu der drohenden Kriegsgefahr in Montenegro und den in Bosnien bevorstehenden Regional- und Parlamentswahlen Stellung.
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"Wiener Zeitung": Ein Jahr nach dem Kosovo-Krieg braut sich in Ex-Jugoslawien ein neuer Krieg zusammen · diesmal zwischen Serbien und Montenegro. Der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic
sprach von einer "alarmierenden Gefahrenstufe", zuvor hatten der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, Wesley Clark, und der "EU-Außenminister" Javier Solana ein gefährliches Konfliktszenario an die Wand
gemalt. Sie selbst meinten, die Situation sei nicht so akut. Wie groß ist die Kriegsgefahr wirklich?
Rohan: Es werden von Belgrader Seite Maßnahmen gesetzt, die darauf hindeuten, dass ein Konflikt in Montenegro vorbereitet wird · ich verweise etwa auf die serbische Wirtschaftsblockade gegen
Montenegro oder die Verstärkung der Einheiten der Bundesarmee in der Teilrepublik. Dennoch halte ich eine Militäreskalation in unmittelbarer Zukunft für unwahrscheinlich.
Längerfristig also schon?
Ich glaube, dass Belgrad auf alle Fälle abwartet, wie die Gemeindewahlen in Podgorica und Herzeg Novi am 11. Juni ausgehen. Würde dort die Regierungskoalition verlieren, dann bräuchte Milosevic
keinen offenen Konflikt, weil dann wahrscheinlich ohnehin allgemeine Wahlen ausgeschrieben würden. Wenn Djukanovic auf demokratische Weise hinausgewählt würde, wäre das Milosevic sicherlich lieber.
Serbien liegt wirtschaftlich darnieder. Kann sich Belgrad noch einen Krieg leisten?
Milosevic begann immer dann einen neuen Krieg, wenn in Serbien die Situation schwierig wurde. Das war so in Slowenien und auch im Kosovo. Längerfristig ist es daher durchaus denkbar, dass er auch
in Montenegro einen Konflikt vom Zaun bricht.
Auch im Kosovo brodelt es.
Mein Eindruck ist, dass sich Milosevic zur Zeit mehrere Destabilisierungsvarianten offen hält, für den Fall, dass er zum Entschluss kommt, dass ihm dies in Serbien nützlich sein könnte: etwa ein
aggressives Vorgehen gegen die Opposition und die Medien in Serbien selbst · man sieht ja schon zum Teil ein sehr prohibitives Vorgehen seitens der Belgrader Führung; zweitens ein neuer Kosovo-
Konflikt · wie die Unruhen in Mitrovica zeigen; und die dritte Möglichkeit ist eben ein Konflikt in Montenegro.
Belgrad würde nach Ansicht von Djukanovic nicht direkt intervenieren, sondern versuchen, durch innere Destabilisierung einen Bürgerkrieg anzufachen. Sehen Sie das ähnlich?
Rohan: Ich halte einen direkten militärischen Angriff auch für unwahrscheinlich. Da in Montenegro eine Einheit der jugoslawischen Bundesarmee einer etwa gleich starken montenegrinischen
Polizeieinheit gegenüber steht wäre es sicher nicht so leicht für Milosevic, einen offenen Konflikt loszutreten. Ich glaube, dass sich weder Belgrad völlig auf die Armee noch Djukanovic auf die
Polizei verlassen kann. Milosevic würde eher versuchen, Unruhen und Streiks auszulösen, gegen die er dann die Armee einsetzt. So stelle ich mir das eher vor.
Sie haben eine Wirtschaftssoforthilfe des Westens für Montenegro in der Höhe von rund 110 Mill. Euro (1,5 Mrd. Schilling) vorgeschlagen, um die Gefahr einer Destabilisierung möglichst gering zu
halten.
Die genannten 110 Mill. Euro entsprechen dem heurigen Budgetdefizit in Montenegro. Wenn die Regierung die Hilfsgelder nicht bekommt, wird es zu Gehaltsabschlägen und Pensionskürzungen kommen, auch
die staatlichen Preisstützungen für landwirtschaftliche Produkte müssten drastisch gekürzt werden. Und das birgt in sich die Gefahr einer Destabilisierung.
110 Mill. Euro sind ist ein relativ kleiner Betrag, wenn man damit einen Konflikt verhindern kann. Um die Größenordnungen zu dokumentieren: Der Betrag entspricht dem Kaufspreis eines
Tarnkappenbombers, zwei Kriegstage im Kosovo haben etwa so viel gekostet.
Aber erhält Montenegro nicht schon umfangreiche internationale Hilfe?
Das Problem besteht darin, dass die normalen Ressourcen für solche Hilfsmaßnahmen · das sind Weltbank und Währungsfonds · nicht zur Verfügung stehen, weil Jugoslawien, zu dem ja die Teilrepublik
Montenegro gehört, nicht Mitglied dieser Gruppe ist. Daher muss man andere Wege der Finanzierung wählen. Die USA haben bereits 34 Mill. Dollar zugesagt, weitere 34 Mill. wurden in Aussicht gestellt.
Die EU stellt ebenfalls 34 Mill bereit. Man ist damit ja ohnehin schon ziemlich nahe an dem nötigen Betrag. Es bedarf nur noch einer zusätzlichen Bemühung, das Geld tatsächlich hereinzubringen.
Kommt das Thema auch beim EU-Sondergipfel zur Sprache?
Das wissen wir noch nicht. Frau Bundesministerin Ferrero-Waldner hat beim EU-Außenministerrat auf das Problem hingewiesen. Es ist grundsätzlich der politische Wille bzw. die Einsicht
vorhanden, es fehlt nur noch die Entscheidung, dass man den zweiten Schritt geht und die fehlenden Beträge aufbringt. Wir hoffen, dass das der Fall sein wird.
Sie sagten, die Präventivmaßnahmen seien auch deshalb so wichtig, weil Sie nicht glauben, dass eine Militärgarantie des Westens im Kriegsfall so schnell zu erreichen wäre.
Ich glaube nicht, dass die NATO zu einer solchen Garantie für Montenegro bereit ist. Sicherlich wäre es eine Hilfe. Es wäre aber immer noch kein Schutz vor internen Unruhen.
Sie sind in Montenegro auch mit Oppositionsführer Bulatovic zusammen getroffen. Worum ging es bei der Unterredung?
Es ging in erster Linie um Fragen im Rahmen der OSZE. Ich habe in meiner Funktion als OSZE-Sonderbeauftragter für Südosteuropa Wert darauf gelegt, auch die Opposition zu besuchen, weil wir einen
völlig ausgewogenen Zugang zu den montenegrinischen Problemen suchen. Auch das Wahlgesetz, das das unter OSZE-Mitwirkung erarbeitet wurde, kam zur Sprache. Ich machte die erfreuliche Feststellung,
dass dieses Gesetz in den Tagen, als ich in Montenegro war, im Parlament angenommen wurde · mit den Stimmen der wichtigsten Oppositionsparteien. Das ist ein erfreuliches Zeichen einer gewissen
demokratischen Reife · bei allen Meinungsverschiedenheiten, die die Opposition mit Djukanovic hat.
In Bosnien, wo Sie ja auch waren, schaut es bezüglich Wahlgesetz weniger rosig aus. Dort sträuben sich die nationalistischen Kräfte im Vorfeld der für Herbst geplanten Parlamentswahlen bisher
erfolgreich gegen ein neues Gesetz, das ihre Machtbasis einschränken soll. Woran scheitert eine Lösung?
Ziel des neuen Gesetzes ist es, dass Moslems, Serben und Kroaten nach dem künftigen Gesetz auf dem gesamten Bundesgebiet kandidieren sollen. Und dass auch die Vertretungen in den Bundesbehörden
nach parteipolitischen und nicht nach ethnischen Kriterien bestimmt werden. Die bosnischen Führer konnten sich bisher auf keinen Kompromiss einigen. Sie verweisen auf das Dayton-Abkommen, in dem das
ethnische Prinzip verankert ist.
Der Hohe Repräsentant für Bosnien, Wolfgang Petritsch, den Sie während Ihres Besuchs in Sarajevo trafen, rechnet aus diesen Gründen nicht mehr mit der Durchführung der für Herbst geplanten Wahlen
auf Basis eines neuen Wahlgesetzes. Warum beschließt er nicht per Dekret ein neues Gesetz?
Natürlich gäbe es die rechtlich Möglichkeit, dass Botschafter Petritsch der Regierung noch schnell ein Gesetz aufoktroyiert. Das lehnt er aber ab. Er will, dass die Bosnier selbst eine Lösung
finden. Die Vergangenheit hat wiederholt gezeigt, dass es den Vertretern des Staatspräsidiums nur recht ist, von der Staatengemeinschaft eine Lösung aufgezwungen zu bekommen, wenn sie nicht in der
Lage sind, selbst einen Kompromiss zu erzielen. Dadurch müssen sie nicht von ihren Standpunkten abrücken. Sie machen es sich sehr leicht. Wir versuchen ihnen klarzumachen, dass es gerade die Essenz
der Demokratie ist, diese Verantwortung zu übernehmen.
Am 8. April finden unter OSZE-Beobachtung in Bosnien Regionalwahlen statt. Ein Termin für die Herbstwahlen ist hingegen noch ausständig. Weshalb?
Die OSZE wird die Regionalwahlen abwarten, und dann den Beschluss fassen, ob Wahlen für das Parlament im Herbst stattfinden.
In Bosnien soll auch ein neues Mediengesetz verabschiedet werden. OSZE-Vorsitzende Ferrero-Waldner hat im Rahmen Ihres gemeinsamen Bosnien-Besuchs in der Vorwoche anklingen lassen, dass ein
solches Gesetz Bedingung für eine endgültige Mitgliedschaft Bosniens im Europarat sei.
Zur Zeit wird im Rahmen des Stabilitätspaktes eine Mediencharta ausgearbeitet, die alle Länder der Region implementieren müssen. Was die Koppelung des Mediengesetzes an die Mitgliedschaft Bosniens
im Europarat betrifft, gibt es bei den Europaratsmitgliedern unterschiedliche Meinungen. Die einen · vor allem der OSZE-Beauftragte für Bosnien und Österreich als derzeitiges OSZE-Vorsitzland
· sind der Auffassung, dass man die Frage des Beitritts dazu benützen sollte, gewisse Fortschritte zu erzwingen. Die bosnische Führung sieht das anders.
Wie stehen die EU-Mitglieder zu der Frage?
Auch hier gibt es Meinungsunterschiede. Einige EU-Länder plädieren für einen rascheren Europarats-Beitritt, auch, um der bosnischen Regierung einen Gefallen zu tun. Letztlich wird diese Frage in
der Parlamentarischen Versammlung des Europarats zu diskutieren sein.
Kann Österreich seinen Aufgaben im Rahmen des OSZE-Vorsitzes gerecht werden, wo die Kontakte in Europa auf Grund der FPÖ-Regierungsbeteiligung zum Teil sehr eingeschränkt sind?
Die Reisen der Außenministerin in die Region haben gezeigt, dass Österreich voll und ganz in der Lage ist, den OSZE-Vorsitz wahrzunehmen, dass wir uns sehr aktiv engagieren und dass der Balkan, ob
man es will oder nicht, nach wie vor eine der Prioritäten darstellt · neben dem Kaukasus, Zentralasien und Tschetschenien. Im Kosovo, wo neben Bosnien die größte OSZE-Mission stationiert ist,
beschreiten wir gerade Neuland. Die OSZE wurde von der UNO eingeladen, in der neuen, gemeinsamen Verwaltung zwischen Internationaler Gemeinschaft und Kosovaren zwei Abteilungen zu übernehmen: das
Departement für Demokratie und Zivilgesellschaft sowie das Departement für Kosovaren im Ausland. Damit übernimmt die OSZE neben ihrer bisherigen beratenden Tätigkeit erstmals auch eine
Verwaltungsaufgabe.