"Wir wurden stets vorgeschickt": Junior Nzita, ein Betroffener, erzählt in Wien von seinen Erfahrungen.
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Wien. "Warum sind Kinder als Soldaten so praktisch?", fragt Junior Nzita - und beantwortet die Frage. "Kinder sind Kanonenfutter, denn sie fragen nie nach dem Warum. Sie sind als Kämpfer hocheffizient, weil sie nicht nachdenken." Der mittlerweile 33 Jahre alte Kongolese muss es wissen, war er doch selbst als Kindersoldat im Einsatz.
Am Dienstag war Nzita Gast im Wiener "International Institute for Peace", Thema des Vortrags war sein persönliches Schicksal. Der Kongolese hat mittlerweile sein Trauma bewältigt und die Organisation "Paix Pour l’Enfance" (Frieden für die Kindheit) gegründet, die sich um Kriegswaisen und Witwen kümmert. Seit 2015 ist er als ehrenamtlicher UNO-Botschafter unterwegs.
In Wien berichtet er von einem der übelsten Kriegsverbrechen, massenhaft begangen in zahllosen afrikanischen Kriegen. 1996 sei er Schüler in einem Internat gewesen, "als plötzlich die Soldaten kamen". Die Lehrer seien alle sofort erschossen, die Schüler zusammengetrieben und in ein "Ausbildungszentrum" gebracht worden. Dieses habe aus Containern, die "Ausbildung" aus nackter Gewalt bestanden.
"Wir haben gelernt, wie man schießt und tötet"
"Ich war zwölf Jahre alt", sagt Nzita, "und es war nicht leicht für mich." "Wir haben dort gelernt, wie man schießt und tötet. Unser Chef hat gesagt, wir wären die Befreier." Nach einigen Wochen Trainings seien er und seine Kameraden in den Krieg gegen die Regierung geschickt worden. "Es ging darum, Präsident Mobutu zu verjagen" - einen der am längsten herrschenden, korruptesten und brutalsten Diktatoren Afrikas.
Nach sechs Monaten sei der Feldzug beendet gewesen, berichtet Nzita, und "wir wurden völlig allein gelassen. Es gab keine Behandlung für Traumatisierte, keinen Sold, nichts." Er sei dann in eine andere Region versetzt worden, wo ebenfalls gekämpft wurde und Bedarf an Kindersoldaten bestand. Dort sei ihm "Rebellion" vorgeworfen worden, er sei gefoltert worden, habe 250 Stockhiebe erhalten, "mittlerweile war ich 13 Jahre alt". Er habe miterleben müssen, wie ein Kamerad brutal zu Tode kam. "Es war nicht leicht für mich", sagt Nzita heute. Denn gerade die Jüngsten seien immer vorgeschickt worden.
Er wäre dann in ein Dorf gelangt, wo eine Frau elektronische Spionage-Geräte unter ihrer Kleidung versteckt hätte. "Ich habe ihr mit dem Bajonett den Kopf abgeschnitten", sagt Nzita. Ein Kindersoldat, der sich seine Opfer sucht. "Ich habe meine Kindheit verloren, aber nicht die Hoffnung", sagt er. Er habe "weinen müssen", wenn er gesehen habe, wie andere Kinder in die Schule gehen. "Die Eltern der anderen Kinder wollten nicht, dass ich mit ihnen in Kontakt komme."
Schließlich habe er sich zivile Kleidung besorgt, um auf eine ganz normale Schüler-Geburtstagsfeier zu gehen. Dort seien alle mit ihren Freundinnen aufgetaucht, "ich nicht, ich war zu schüchtern. Ich habe nur schießen gelernt und wusste nicht, was ich sagen sollte." "Tanz mit dem Mädchen dort und sage ihr, dass du sie liebst", lautete der gute Ratschlag eines Freundes. Der Plan sei aufgegangen, so Nzita. Schließlich habe er sich sogar eine eigene Schuluniform besorgt, um in Zivil auftreten zu können. Ein gefährliches Wagnis, denn "wenn sie mich damit erwischt hätten, hätten sich mich als Deserteur erschossen".
Er habe dann ein Doppelleben begonnen, einmal in Militäruniform und einmal in Schulkleidung. Dann sei er seiner neuen Freundin zufällig auf der Straße in Armeeuniform begegnet, habe aber so getan, als kenne er sie nicht. Seine Freundin habe geweint, denn ihr Bruder wurde von Soldaten getötet, ihre Schwester von Soldaten vergewaltigt und ihrer Mutter seien beide Beine abgeschnitten worden. "Ich konnte ihr nicht die Wahrheit sagen", so Nzita. Wenig später sei er dann als einer von 3304 Soldaten nach Angola versetzt worden, in ein Gebiet, das von Landminen verseucht gewesen sei. Die Folge: "Nur 380 von uns sind übrig geblieben."
Schließlich habe sich das Blatt gewendet, 2006 habe die Demobilisierung stattgefunden, er habe wieder in die Schule gehen und sogar maturieren können.
Dann habe er eine Hilfsorganisation gegründet, um anderen Kindern sein eigenes Schicksal zu ersparen. "Jede Unterstützung, die ich einem Kind gebe, ist für mich, als würde ich sie mir selbst als Zwölfjährigem geben." Seinen ehemaligen Peinigern, das betont er immer wieder, habe er vergeben. Einige der Kinder, um die er sich jetzt kümmere, seien so traumatisiert, dass sie ihren Namen nicht wüssten, berichtet Nzita: "Sie haben mit angesehen, wie ihre Eltern getötet werden." Es gehe darum, diesen Kinder eine Perspektive zu geben, etwa durch Schulbesuch. So wie er seinerzeit ein Gewehr in die Hand gedrückt bekommen habe, würde er nun Kindern eine Schultasche überreichen.
Der Hauptmann als Vater-Ersatz
Wegen seiner Aktivitäten als ehrenamtlicher UN-Botschafter der Vereinten Nationen musste Nzita den Kongo verlassen, er lebt derzeit in Kanada im Exil. 2016 ist sein Buch mit dem Titel "If my life as a child soldier could be told" erschienen.
Denn das Problem ist heute so virulent wie eh und je: Weiterhin sind auf den verschiedenen afrikanischen Kriegschauplätzen Kindersoldaten im Einsatz. Laut UN-Bericht vom August 2017 kämpfen im Kongo auf Seiten der Rebellengruppe "Kamuina Nsapu" Buben und Mädchen im Alter von sieben bis 13 Jahren. "Zeugen berichteten, dass die Mädchen das Blut ihrer Opfer trinken als Teil eines magischen Rituals, das die Gruppe unbesiegbar machen soll", heißt es wörtlich in dem Bericht. Auch in der Zentralafrikanischen Republik sind laut UN-Friedenstruppe Kinder im Einsatz. Viele dieser Minderjährigen stünden unter massivem Drogeneinfluss.
In der Tat werden die Opfer der Warlords mit Drogen in eine Art Blutrausch versetzt. Verabreicht wird die berüchtigte Substanz "Brown Brown", eine Mischung aus Schießpulver und Kokain. "Man hört allmählich auf, irgendetwas zu empfinden, wenn man jemanden tötet", erzählte ein Ex-Kindersoldat der "Zeit online" über die Wirkung der Droge.
Darüber hinaus bauen die Peiniger ein mehrstufiges System auf, um die Kinder zu brutalisieren. Zunächst werden Eltern und nächste Verwandte vor den Augen der Kinder erschossen, oft müssen die Kinder das selbst tun. Die Kinderkompanien werden dann zum Familien-Ersatz, mit dem Kommandanten als neuen Vater und dem Unteroffizier als älterer Ersatz-Bruder. Den Kindern wird erklärt, dass sie unsterblich seien, was sie glauben und ohne jede Furcht in den Kampf gehen.
Kindersoldaten jagen erfahrenen Soldaten Angst ein
Selbst erfahrene UN-Soldaten und US-Militärberater haben Angst vor der minderjährigen Soldateska, immer wieder ist von einem "toten" Blick der Kinder und deren völliger Unberechenbarkeit die Rede. Die Opfer der Kindersoldaten werden gefoltert, Gliedmaßen abgeschnitten. Dabei geht es darum, die Loyalität zur Gruppe unter Beweis zu stellen.
Das furchtbare Phänomen beschränkt sich nicht auf Afrika. So wurden 1945 in Deutschland tausende Hitlerjungen im Alter von 13, 14 oder 15 Jahren von den Nationalsozialisten gegen die Rote Armee geschickt. Auch im Syrien-Krieg wurden von den Rebellen Minderjährige als Wachen oder Boten eingesetzt, viele Väter haben ihre Söhne zu den Kämpfen mitgenommen. Zudem gibt es Videos, auf denen zu sehen ist, wie Kindersoldaten des IS gefesselte Geiseln zur Hinrichtung führen. Der IS hat in den letzten Jahren systematisch Kinder für das Schlachtfeld rekrutiert, darunter fallweise auch minderjährige Mädchen aus Europa.
Jemen will systematisch Schüler an Front schicken
Jn den letzten Wochen lässt eine beängstigende neue Entwicklung aufhorchen. Die Führung der jemenitischen Huthi-Rebellen hat angekündigt, an den Schulen des Landes massenhaft Kindersoldaten für den Kampf gegen die Regierung rekrutieren zu wollen. Ein "Bildungsminister", Hassan Seid, schlug zuletzt auf seiner Facebook-Seite vor, den Unterricht ein Jahr lang auszusetzen und Schüler samt Lehrer an die Front zu schicken. Mit der Verstärkung könne die "Schlacht gewonnen" werden.