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Mindestsicherung für Migranten?

Von Eva Zelechowski

Politik

In Deutschland bekommt ein Rumäne Hartz-IV zugesprochen.


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Wien. Ein in Deutschland im Oktober gefälltes Gerichtsurteil hat die Debatte über die Sogwirkung von Sozialleistungen auf Einwanderung neuerlich entfacht. Der Fall: Ein Mann zieht mit seiner Familie im Jahr 2009 aus Rumänien ins deutsche Ruhrgebiet, wo er sein Einkommen zunächst aus dem Verkauf von Obdachlosenzeitungen und Kindergeld bezieht. Ein Antrag auf Grundsicherung, den er nach einem Jahr im regionalen Jobcenter stellt, wird abgelehnt, mit dem Verweis auf das geltende EU-Recht: Frühestens nach fünf Jahren Aufenthalt haben Drittstaatsangehörige (in dem Fall auch Rumänen) Anspruch auf Sozialleistungen.

Präzedenzfall für ganz Deutschland

Der Mann klagt und bekommt recht. Das Landesgericht Nordrhein-Westfalen lässt in einer Ausnahmeregelung die Hartz-IV-Leistungen zu. Zwei Faktoren begünstigten das Urteil der Richter: Zum einen lebte die Familie zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Jahr lang in Deutschland, zum anderen habe das Jobcenter dem Familienvater erklärt, seine Chancen für eine Beschäftigung in Deutschland seien sehr gering. Die Entscheidung: Wenn sich EU-Bürger "nach längerer objektiv aussichtsloser Arbeitssuche weiter im Bundesgebiet aufhalten" und in Existenznot sind, hätten sie ein Anrecht auf Grundsicherung. Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) warnte bereits lautstark vor einem Ansturm von Migranten. Sobald das Urteil rechtskräftig sei, würde es "Anreiz für weiteren Zuzug bieten". Entscheiden muss das jetzt letztendlich das Bundessozialgericht. Auf dieses Urteil könnten sich deutschlandweit etwa 130.000 arbeitssuchende Migranten berufen - falls es rechtskräftig werden würde.

Wie sieht die Lage in Österreich aus? Unter den 320.000 Arbeitslosen sind 55.000 Migranten Migrant ist aber nicht gleich Migrant. Handelt es sich dabei um EU-Bürger, haben auch sie einen Anspruch auf Mindestsicherung, sofern sie hier über einen bestimmten Zeitraum gearbeitet haben. "Wenn die Person eine Beschäftigung unter dem Mindeststandard hat, kann sie eine Aufstockung über die bedarfsorientierte Mindestsicherung auf 795 Euro beantragen", erklärt Norbert Schnurrer, Pressesprecher des Sozialministeriums. Man müsse unterscheiden, ob der Arbeitssuchende vor seiner Antragstellung geringfügig oder in einem festen Dienstverhältnis beschäftigt war. Ein Dienstverhältnis sei aber in jedem Fall vorzuweisen. Ein Fall wie in Deutschland sei hierzulande aber "sicher nicht" denkbar, meint Schnurrer.

Denn rumänische oder bulgarische Staatsbürger haben in Österreich trotz EU-Beitritts bis 2014 einen eingeschränkten Arbeitsmarktzugang. Sie brauchen eine Arbeitsbewilligung, denn nur "Österreichern gleichgestellte Personen" bzw. jene mit Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis haben Anspruch auf Mindestsicherung. Bei Drittstaatsangehörigen sieht die Lage anders aus. Diese Personen, beispielsweise aus der Türkei oder Serbien, sind nur dann anspruchsberechtigt, wenn sie mindestens fünf Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet haben, bei EU-Bürgern gilt diese Frist nicht.

Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt: Darf der Staat Einwanderern, die arbeitswillig und -fähig sind (laut Arbeitsmarktservice sind das die Faktoren für eine Gewährung der Mindestsicherung), eine finanzielle Unterstützung verweigern? Ein Fall wie in Deutschland sei auch laut AMS-Pressesprecherin Beate Sprenger nicht bekannt. "Das AMS würde einem Arbeitssuchenden nie sagen, dass er kaum Chancen auf einen Job hat", sagt sie. Das sieht man im benachbarten Deutschland offenbar anders als in Österreich. Hierzulande hat aber auch noch kein Einwanderer den Staat auf Mindestsicherung geklagt.

Sozialleistungen als Einwanderungsgrund

2011 löste Bauernbund-Präsident Fritz Grillitsch (ÖVP) eine Diskussion über die soziale Unterstützung für Einwanderer aus. Er forderte, Migranten, die sich nach fünf Jahren wirtschaftlich nicht integriert hätten, die Mindestsicherung schrittweise zu streichen. Dies stieß allerdings auch bei den Parteikollegen auf Kritik. "Diese Fälle gibt es nicht", wies Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz die Forderung zurück. Einzig die FPÖ fordert, die Mindestsicherung ausnahmslos an die österreichische Staatsbürgerschaft zu koppeln, um den Missbrauch von Sozialleistungen durch Migranten zu verhindern.

Ist Österreichs soziale Hängematte denn tatsächlich so verlockend für viele potenzielle Einwanderer, wie manche Politiker behaupten? Eine 2012 veröffentlichte Studie der EU-Kommission ging der Theorie nach, dass Menschen ihre Einwanderungsentscheidung nach dem im Zielland erwarteten Einkommen treffen: nicht nur dem erarbeiteten Einkommen, sondern auch der Arbeitslosenunterstützung.

Die EU-Studie resümiert - wie auch die meisten dazu durchgeführten Erhebungen -, dass Sozialleistungen für die Personen nicht den Hauptanreiz schaffen, in ein Land einzuwandern. Ebenso gebe es der Studie zufolge keine Belege dafür, dass Einwanderung die Sozialsysteme eines Staates nachhaltig belastet.

Der Migrantenanteil unter allen Beziehern der Mindestsicherung, also sowohl EU-Bürgern als auch Drittstaatsangehörigen, die mindestens fünf Jahre in Österreich gelebt und gearbeitet haben, war in den vergangenen Jahren und ist bis heute unterproportional zum Bevölkerungsanteil.