Angehörige sollen künftig zwischen 4 und 15 Prozent zurückzahlen. | Vorgehen ist von Bundesseite nicht abgedeckt. | Wien. Zug um Zug wird die beschlossene Mindestsicherung von den Ländern umgesetzt. Für Aufregung sorgt jetzt eine Regelung der steirischen Landesregierung. Demnach will sich das Land auch nach der Einführung der neuen Mindestsicherung ab 1. März 2011 an Eltern und Kindern der bis zu 5000 Sozialhilfebezieher schadlos halten. Der steirische Landtag hat vor kurzem ein entsprechendes Gesetz beschlossen, obwohl sich das Land vertraglich gegenüber dem Bund verpflichtet hat, auf den Angehörigen-Regress künftig zu verzichten.
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"Es darf kein Ersatzverlangt werden"
In einer 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über die Mindestsicherung heißt es explizit, dass von den Kindern sowie von den Eltern der volljährigen Bezieher kein Kostenersatz verlangt werden darf. Wie der steirische Angehörigen-Regress im Detail aussehen soll, wird per Verordnung festgelegt. Geplant ist eine soziale Staffelung, wonach die Angehörigen je nach Einkommenshöhe zwischen 4 und 15 Prozent zurückzahlen sollen.
Sozialminister Rudolf Hundstorfer will das steirische Mindestsicherungsgesetz prüfen lassen, hieß es dazu nach Anfrage der "Wiener Zeitung". Mehr wollte Hundstorfer zunächst nicht sagen, er befindet sich derzeit im Ausland. Auch die steirische Regierungsseite gab sich am Dienstag zugeknöpft. Niemand wollte Stellung beziehen.
Einklagen können die Betroffenen die in einer Bund-Länder-Vereinbarung festgelegte Abschaffung der Regressregelung jedenfalls nicht, betonte der Verfassungsrechtler Heinz Mayer inzwischen. "Die 15a-Vereinbarung richtet sich nur an die Gebietskörperschaften, die sind berechtigt und verpflichtet, nicht der Einzelne", so Mayer. Demnach könnte sich die Bundesregierung an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) wenden, damit dieser feststellt, ob die steirische Regelung der Vereinbarung entspricht. "Mehr ist nicht möglich", betonte Mayer. Aufgehoben würde ein vereinbarungswidriges Landesgesetz vom Verfassungsgerichtshof aber nicht. Mayer: "Ein Gesetz ist nicht verfassungswidrig, nur weil es der 15a-Vereinbarung widerspricht."
"Ist sozialpolitische Steinzeit"
Scharfe Kritik am Vorgehen der rot-schwarzen Landesregierung kam vom Sozialsprecher der Grünen, Karl Öllinger: "Das ist sozialpolitische Steinzeit. Der Rückgriff auf Geld von Verwandten ist nicht hinnehmbar. Das ist klar vertragswidrig", so Öllinger am Dienstag. Er zog auch Bilanz zum abgelaufenen europäischen Jahr der Armutsbekämpfung. "Es ist Jahr der vergebenen Chancen", so Öllinger. Die neue Mindestsicherung sei lediglich eine "Mini-Sicherung".
Präsentiert wurde gestern auch der erste Wiener Sozialbericht. Demnach hat sich in der Bundeshauptstadt die Zahl der Bezieher von Sozialhilfeleistungen seit 2000 mehr als verdoppelt. Damals waren noch 42.754 Personen betroffen, im Jahr 2009 haben bereits 100.031 Menschen entsprechende Unterstützungen in Anspruch genommen. Grund des Anstiegs ist unter anderem die Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen, sagt dazu Sozialstadträtin Sonja Wehsely.
Die Struktur der Sozialhilfebezieher in Wien hat sich jedenfalls deutlich verändert. Der Anteil der Personen mit einem Einkommen, das nur aus Sozialhilfe besteht, ist gesunken - von 20 auf 13 Prozent. Die klassischen "Vollbezieher" werden somit immer weniger.
Hingegen ist der Anteil der sogenannten Richtsatzergänzungsbezieher, also der Personen, deren Einkommen nicht ausreicht und die auf Zuzahlungen angewiesen sind, von 50 auf 67 Prozent gestiegen. Dazu zählen Menschen, die Arbeitslosengeld beziehungsweise Notstandshilfe oder auch Kindergeld beziehen. Aber auch die "Working Poor" sind häufig in dieser Kategorie zu finden.
Besonders armutsgefährdet sind alleinerziehende Personen und Mehrkindfamilien, so Wehsely weiter. Deshalb verwies sie darauf, dass Wien die höchste Mindestsicherung für Kinder in ganz Österreich eingeführt hat. Der Richtsatz wurde von 134 Euro auf 203 Euro pro Kind angehoben, gültig ab März 2011. Auch einen Heizkostenzuschuss wird es heuer wieder geben. Insgesamt beträgt das Sozialbudget der Stadt Wien 2011 1,2 Milliarden Euro - um 650 Millionen Euro mehr als 2010.