Integrationsminister Kurz will für anerkannte Flüchtlinge mehr Sachleistungen und dafür weniger Geld.
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"Wiener Zeitung": In Kenntnis der Lage im Nahen Osten: Wie lange, denken Sie, wird der verstärkte Andrang von Asylwerbern nach Österreich anhalten?Sebastian Kurz: Es sind Millionen Menschen dort in Flüchtlingslagern, Millionen auf der Flucht vor dem IS-Terror. Deswegen hält der Druck nach Europa an. Es muss einerseits gegen den IS-Terror vorgegangen werden, andererseits müssen die Flüchtlinge vor Ort bestmöglich betreut werden, damit sie nicht weiterziehen müssen. Aber darüber hinaus kommen natürlich auch viele Wirtschaftsflüchtlinge und hier muss klar sein, dass diese Menschen keine Chance haben, in Europa bleiben zu dürfen. Und hier muss Europa besser in der Grenzsicherung werden.
In der Praxis ist eigentlich egal, ob ein Syrer, Afghane oder Iraker Wirtschafts- oder Kriegsflüchtling ist. Denn niemand wird in die unsicheren Länder zurückgeschickt.
Diese Gruppen haben ohnehin eine sehr hohe Anerkennungsquote beim Asylverfahren.
Wie integrierbar sind diese neuen Mitbürger mit dem Asylbescheid?
Da kann man nicht pauschalieren. Klar ist, dass hier natürlich auch Personen zu uns kommen, die aus ganz anderen Kulturkreisen kommen, andere Wertvorstellungen haben und Einstellungen mitbringen, die wir klar ablehnen und nicht dulden. Deswegen setzen wir auf Werteschulungen, um ganz klar zu machen, wie Zusammenleben bei uns funktioniert.
Geben Sie uns ein Beispiel für nicht zu duldende Werte?
Es gibt Praktiken in muslimischen Ländern, die mit Religion nichts zu tun haben - wie Zwangsehe.
Caritas und Volkshilfe klagen seit geraumer Zeit über fehlende Deutschkurse. Warum werden die Plätze erst jetzt aufgestockt?
Wir haben schon vor einigen Monaten über 7000 Kurse geschaffen, jetzt haben wir noch einmal zusätzlich 10.000 Kurse in Vorbereitung. Und ja, sie können uns glauben, dass es eine Herausforderung ist, so schnell so viel neue Plätze aus dem Boden zu stampfen.
Wir bieten auch die Möglichkeit an, online Deutsch zu lernen, über ein Online-Tool, das wir spezielle für arabisch-sprachige Menschen erweitert haben.
Deutsch zu lernen ist eine Sache, einen Job zu finden bei 400.000 Arbeitslosen eine andere.
Das ist eine große Herausforderung, der sich auch der Sozialminister bewusst ist. Das AMS hat ein Pilotprojekt gestartet, um möglichst schnell die Qualifikation von anerkannten Flüchtlingen herauszufinden, wie sie in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Das halte ich für sehr sinnvoll, deswegen sind wir dahinter, dass es österreichweit ausgebaut wird.
Rund 75 Prozent der Syrer und über 90 Prozent der Afghanen verfügen laut AMS nur über Pflichtschulabschluss. 50 Prozent der aktuell Arbeitslosen haben nur Pfllichtschulabschluss.
Es kann ja sein, dass ein Flüchtling mit Pflichtschulabschluss in einem Bereich gearbeitet hat, wo er sich Qualifikationen angeeignet hat, die nicht mit einem Abschluss belegt sind. Diese sind viel schwieriger festzustellen, aber für die Vermittlung ganz entscheidend, zum Beispiel jemand, der als Techniker, Mechaniker oder in der Gastronomie gearbeitet hat.
In der Bosnienkrise Anfang der 1990er Jahre fanden Flüchtlinge nicht nur rasch Arbeit, sie kamen auch oft direkt bei Verwandten unter. Wo sollen anerkannte Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan oder Irak heute wohnen?
Länder und Gemeinden arbeiten daran, Menschen möglichst rasch aus der Grundversorgung zu bringen, idealerweise in Wohnungen am freien Markt.
Die neue Lösung heißt, keine Massenquartiere, sondern Aufteilung auf Gemeinden. Aber ziehen die Menschen dann nicht erst recht in die Stadt wegen der Perspektivenlosigkeit am Land?
Natürlich. Auch für andere Personen ist es schwierig, in Gegenden zu wohnen, wo es keine Arbeitsplätze gibt.
Sie haben kulturelle Unterschiede angesprochen. Wie nehmen Sie Menschen in Dörfern ohne Flüchtlinge die Skepsis vor neuen Mitbewohnern aus dem Nahen Osten?
Für die Bevölkerung ist die Zahl entscheidend. Große Gruppen sind eine größere Herausforderung als kleine. Sobald der Spracherwerb gelingt, Menschen im Arbeitsmarkt sind und sich ehrenamtlich engagieren, rücken sie in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Ich erlebe hier ein sehr offenes und positives Österreich, das anerkannte Flüchtlinge in die Gesellschaft holt.
Anerkannte Flüchtlinge bekommen als Starthilfe Mindestsicherung. Ihre Experten regen an, Sachleistungen wie Wohnraum oder Essensgutscheine gegenüber Geldleistungen den Vorzug zu geben. Das soll offenbar auch Überweisungen in die Heimatländer einschränken und den Abstand des verbliebenen Geldes zu Löhnen am Arbeitsmarkt erhöhen. Tragen Sie das mit? Soll das nur für Flüchtlinge gelten?
Ich unterstütze alle Vorschläge der Experten. Es geht um Anreize, dass sich Flüchtlinge rasch am Arbeitsmarkt selbst erhalten können. Ein teilweises Umstellen von Geld- auf Sachleistungen kann hier Sinn machen. Der Vorschlag ist in diesem Fall klar auf Flüchtlinge bezogen, quasi durch die Integrationsbrille. Der Frage, ob das für alle Bezieher gut wäre, maßen sich die Experten nicht an, zu beantworten.
Tellerwäscher ist ein klassischer Startjob für viele Asylwerber, sagt etwa der Gastronom und Neos-Politiker Sepp Schellhorn, der Flüchtlinge beherbergt. Tellerwäscher verdienen ca. 1000 Euro, nur 140 Euro mehr als die Mindestsicherung.Das ist eine generelle Diskussion, die in Österreich und anderen Wohlfahrtsstaaten geführt wird, wie groß der Anreiz ist, arbeiten zu gehen. Das betrifft nicht nur Flüchtlinge und Zuwanderer.
Ihr Parteichef Mitterlehner hat gemeint, die Mindestsicherung sei für Flüchtlinge ein Anreiz, ins ,Schlaraffenland‘ Österreich zu kommen.
Es ist eindeutig so, dass wir für Flüchtlinge besonders attraktiv sind. Dafür gibt es mehrere Gründe, die hohen sozialen Standards sind der gravierendste.
Jemandem, der vor Krieg flüchtet, geht es wirklich darum?
Abgesehen von Wirtschaftsflüchtlingen, die natürlich auch darunter sind: Auch Kriegsflüchtlinge gehen, wenn sie in Sicherheit sind und die Wahl haben, lieber in ein sozial attraktives als unattraktives Land.
Eine bessere Aufteilung der Flüchtlinge in Europa ist illusorisch, oder?
Wir müssen weiter für eine fairere Verteilung kämpfen. Es gibt sehr viele Länder, die das aus eigenen Interessen ablehnen. Die richten uns aus, dass wir deshalb wesentlich mehr Flüchtlinge haben, weil wir schlicht und ergreifend attraktiver sind.
Sollen wir unattraktiver werden?
Es braucht viele Anstrengungen, um mit dem Flüchtlingsstrom umzugehen. Es braucht Unterstützung der Menschen vor Ort, dass sie erst gar nicht fliehen müssen, ein Vorgehen gegen die Fluchtgründe wie den IS-Terror mit militärischen Mitteln und eine bessere Sicherung der EU-Außengrenze. Gelingt das nicht, müssen wir uns die Frage stellen, wie lange ist es für uns in Ordnung ist, so attraktiv zu sein.
Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Ungarns Grenzzaun?
Der ungarische Grenzzaun zeigt, wie angespannt die Situation ist und wie wichtig es ist, dass die EU stärker aktiv wird. Genauso wie es Sinn macht, eine GSVP-Mission (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, Anm.) im Mittelmeer zu haben, um auch gegen Schlepper vorzugehen, braucht es meiner Meinung nach auch ein stärkeres Aktivwerden an den EU-Außengrenzen im Osten.