Zyperns Sparer zur Kasse gebeten - Italien und Spanien fürchten Ansteckung.
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Nikosia/Athen/Brüssel. Irgendwann werden Zyperns Banken wieder aufsperren müssen - frühestens wohl am Donnerstag. Wer dann sein Geld abheben möchte, um sich die Zwangsabgabe zu ersparen, kommt aber ohnehin zu spät. Das trifft nicht nur auf die russischen Oligarchen zu, die ihr Geld auf der Insel gebunkert haben, sondern auf alle zypriotischen Kleinanleger: Sie sollen mit einer einmaligen Vermögenssteuer zur Kasse gebeten werden.
Entsprechend groß ist ihre Wut auf die Europäische Union, die sie dafür verantwortlich machen. Und sie sind damit nicht allein - etliche Medien machen auf mit Schlagzeilen wie "Die EU enteignet Zyperns Pensionisten". Ein Kommunikationsdesaster für Brüssel - zu einer Zeit, wo sich zwischen Nord und Süd der Union ohnehin tiefe Risse ziehen. Sogar Österreichs EU-Kommissar Johannes Hahn war am Montag "überrascht über den kommunikativen Backlash". Europas Politiker betonen zwar unisono, dass es sich um einen Sonderfall handle. Das wurde aber auch beim Schuldenschnitt für griechische Staatsanleihengläubiger beteuert.
Es ist in der Tat ein Tabubruch - und aus Sicht mancher Analysten sogar ein unverzeihlicher Sündenfall -, dass erstmals Spareinlagen angetastet werden. Die EU setzt ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Das macht diese Lösung auf den Finanzmärkten brandgefährlich. Die Schockwellen reichen deshalb weit über die kleine Insel hinaus. Die Börsen lagen am Montag praktisch weltweit im roten Bereich. Besonders stark verloren italienische und spanische Banken. Der Eurokurs fiel zeitweise unter 1,29 Dollar. Und auch das Fieberthermometer der Eurokrise schlug aus: Die Zinsaufschläge für Spaniens und Italiens Staatsschulden stiegen.
Abermals geht die Angst um, dass Europas verunsicherte Sparer die Kassenschalter stürmen und ihr Geld unter die Matratze stecken. Denn dass in Zypern nicht einmal Einlagen bis 100.000 Euro vor dem Zugriff sicher sein sollen, macht sprachlos: Auf diese Kennzahl hatte man sich schließlich europaweit im Zuge der Finanzkrise verständigt. "Das unterminiert das System der Einlagensicherung in der gesamten Eurozone", warnte Rabobank-Ökonom Philip Marey. Warum setzt die EU für diesen Zwergstaat mit nur 0,2 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung so viel aufs Spiel?
Wenig Rettungsambitionen
Die vorgeschlagene Rettungsaktion sei durchaus nicht der Favorit der EU-Kommission gewesen, heißt es aus deren Umfeld. Um die Verhandlungen nachvollziehen zu können, müsse man sich aber die Ausgangslage vor Augen halten: Insgesamt braucht Zypern 17 Milliarden Euro - gemessen an den anderen Hilfsaktionen nicht übermäßig viel: Griechenland etwa hat an die 230 Milliarden Euro verschlungen. Relativ zur Wirtschaftsleistung des Ministaates ist das aber exorbitant hoch.
Würde die EU dieses Geld rein theoretisch zur Gänze - mit Hilfskrediten aus dem Rettungsschirm ESM - bereitstellen, so ließe das die Staatsschulden explodieren. Zypern käme nie wieder auf einen nachhaltigen Haushaltspfad. Dann könnte sich aber der Internationale Währungsfonds (IWF) nicht an der Rettungsaktion beteiligen - der Fonds forderte einen Beitrag aus dem Finanzsektor.
Und: Kaum eine EU-Regierung hatte Lust, die Mittelmeerinsel auf Kosten seiner Steuerzahler komplett aufzufangen. Deutschlands Regierung hatte früh deutlich gemacht, dass sie so einen Deal nie durch den Bundestag bringen würde. Denn Zypern hat sich über viele Jahre als Steueroase, als intransparenter Finanzplatz und als Geldkasino von globaler Bedeutung einen schlechten Namen gemacht. Mit engsten Beziehungen zu Russland.
Deshalb galt nach monatelangen Verhandlungen die Vorgabe, dass maximal 10 Milliarden Euro vom Euro-Rettungsschirm und IWF aufgebracht werden dürfen. Mindestens 7 Milliarden Euro müssen aus Zypern kommen.
Womit das große Rechnen anfing: Etwa eine Milliarde Euro ließ sich Nikosia aus vorgezogenen Privatisierungserlösen anrechnen. Auch um eine gelinde Anhebung des Dumping-Steuertarifs für Unternehmen von bisher 10 auf zumindest 12,5 Prozent kam Zyperns Regierung nicht herum - bringt an die 200 Millionen Euro pro Jahr. Somit verblieben etwa 5,8 Milliarden Euro, die aus dem Finanzsektor kommen mussten.
"Die Aufteilung dieses Beitrages liegt in der Verantwortung der zypriotischen Regierung", kommentiert dazu die Oesterreichische Nationalbank. Auch aus Kommissionskreisen ist zu hören, dass es vornehmlich Zyperns Politiker waren, die sich zunächst dafür starkgemacht hatten, auch die kleinen Sparer zu belasten.
Moskau machte Druck
Ein Grund dafür war offenkundig großer Druck aus Russland. Rund 70 Milliarden Euro würden bei den Banken der Insel gebunkert, heißt es. Davon entfallen rund 40 Milliarden auf Konten über 100.000 Euro - und gut die Hälfte davon soll russischen Banken, Unternehmen oder Einzelpersonen gehören. Hätte man nur diese belastet, so wäre eine Abgabe von gut 15 Prozent fällig geworden, damit die nötigen sechs Milliarden zustande kommen.
Das wollten Zypern Politiker nicht: Sie wollten den zypriotischen Finanzplatz obendrein nicht vollends ruinieren und bevorzugten Steuersätze, die im einstelligen Bereich blieben - so kamen die zunächst geplanten 9,9 Prozent für die reichen Konteninhaber zustande. Das bedeutete im Gegenzug: Auch die Kleinen müssen bluten, nach ursprünglicher Planung mit 6,67 Prozent.
Nach heftigen Protesten wurde es am Montagnachmittag dann noch einmal hektisch. Die Abstimmung in Zyperns Parlament wurde verschoben, der Deal vom Wochenende abermals aufgeschnürt. Am Abend sickerte durch, dass die Regierung in Nikosia nun einen Freibetrag von 20.000 Euro will, unter dem keine Abgabe anfallen sollte.
Andere Ideen lauteten, die Staffelung bei 3 Prozent bis 100.000 Euro anzufangen und auf 10 Prozent für Einlagen bis 500.000 Euro und auf 15 Prozent darüber ansteigen zu lassen. Die Tendenz ist klar: Kleine werden weniger, Reiche stärker belastet.
Warum aber werden überhaupt Einlagen abgeschöpft, zum ersten Mal in der Euro-Finanzkrise? Immerhin könnte das mittelständische Unternehmen treffen, die schlicht zum falschen Zeitpunkt Geld für den Kauf einer Maschine oder eines Grundstücks auf ihrem Konto geparkt hatten, warnt der frühere Unctad-Ökonom Heiner Flassbeck in seinem Blog.
Die lapidare Antwort, die in Brüssel hinter den Kulissen gegeben wird: weil nur dort die nötigen Summen zu lukrieren sind. Selbst wenn alle unbesicherten (nachrangigen) Bank-Anleihen ausradiert würden, brächte dieser Totalausfall nicht mehr als 1,25 Milliarden Euro ein. Und vorrangige Anleihen wollte man aus "systemischen Gründen" nicht angreifen, das könnte erst recht Ansteckungseffekte bringen. Obendrein müssten dann deutsche, französische und andere Euro-Banken größere (wenn auch verkraftbare) Verluste verbuchen.
Nicht ganz ungeschoren davonkommen dürften indes die Eigentümer der zypriotischen Banken, sickerte durch: Es sei geplant, dass die Sparer im Gegenzug für ihre verlorenen Einlagen mit Aktien der betreffenden Bank entschädigt werden. Werden aus Sparern Eigentümer, so hieße das, dass die Anteile der Altaktionäre entsprechend "verwässert" werden und an Wert verlieren.
"Die ehrlichere Lösung"
In die Panik mischen sich Stimmen, die die Lösung positiv bewerten. "Was dort geplant ist, entspricht einer progressiven Vermögenssteuer", sagt Markus Schuller, Markus Schuller, Investment-Profi von Panthera Solutions in Monaco. Das sei offen sichtbar und ehrlicher als die "schleichende Enteignung von der Mittelschicht abwärts", die derzeit überall stattfindet: Weil die Sparzinsen weit unter der Teuerung liegen, verlieren alle Sparer Geld - im Fachjargon heißt das "finanzielle Repression". Über die Monate und Jahre kommen dabei substanzielle Beträge zustande. "Ich höre von keinem Regierungsvertreter in Deutschland, Großbritannien oder Österreich, dass er sich Sorgen über die Realzinsverluste seiner Sparer macht. In Zypern entdecken Westerwelle und Co. hingegen plötzlich ihr Herz für den kleinen Sparer", so Schuller.
Die Sonderabgabe sei zudem durchaus im Sinne der Zyprioten, heißt es in Brüssel: Der einmalige Zugriff auf Bankguthaben sei allemal sozialverträglicher als ein riesiges Sparpaket mit Mehrwertsteuer-Anhebung und Pensionskürzungen oder ein Hilfspaket, das die Staatsschulden noch über 150 Prozent der Wirtschaftsleistung hinaus explodieren ließe.