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Ministerpräsidenten schwenken auf Merkels Lockdown-Linie ein

Von Alexander Dworzak

Politik

Jene beiden Bundesländer mit den wenigsten Corona-Infizierten wollen verschärften Maßnahmen nicht im Wege stehen.


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Lediglich 4,5 der 83 Millionen Einwohner Deutschlands leben in den beiden Bundesländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Doch dem nördlichsten Bundesland an der Grenze zu Dänemark und dem nordöstlichen Part an der Ostsee kommen in der Corona-Krise besondere Bedeutung zu. Hier ist das Infektionsgeschehen mit Abstand am niedrigsten in der gesamten Bundesrepublik.

Nichtsdestotrotz erklärten die beiden Ministerpräsidenten, Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern, SPD) und Daniel Günther (Schleswig-Holstein, CDU) am Donnerstag, dass sich ihre Bundesländer nicht gegen einen harten Lockdown stellen würden. Der Wucht von Kanzlerin Angela Merkels ungewohnt emotionalem Appell im Bundestag tags zuvor nach einer Verschärfung der Maßnahmen wurde offensichtlich gehört. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will ohnehin "einfach mal alles runterfahren von den Geschäften bis hin zu den Betriebsferien in vielen Unternehmen".

Wenn selbst Schwesig und Günther keine Einwände haben, wird es für Ministerpräsidenten mit schlechterer Corona-Lage noch schwieriger, die Beibehaltung des bisherigen Teil-Lockdown, der vor allem Gastro und Kultur trifft, zu verteidigen. Dem Vernehmen nach sollen die 16 Ministerpräsidenten - sie sind aufgrund des Föderalismus für Infektionsbekämpfung in den Ländern verantwortlich - am Sonntag oder Montag mit Merkel beraten.

Mehr als 20.000 Tote

Denn die aktuellsten Daten zeigen keinerlei Entspannung, im Gegenteil: Seit Freitag vergangener Woche steigen die Fallzahlen. "Das ist besorgniserregend", sagt der Präsident des staatlichen Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler. Er warnt, das Wachstum könnte rasch exponentiell ausfallen, und da schwere Krankheitsverläufe oft erst zeitverzögert auftreten, müsse mit noch mehr Patienten auf Intensivstationen und Toten gerechnet werden. 440 mit Covid-19 Verstorbene in den vergangenen 24 Stunden sind zwar um 150 Personen weniger als tags zuvor gemeldet - und doch übersteigt Deutschland damit die Marke von insgesamt 20.000 Corona-Toten. 244 Verstorbene pro einer Million Einwohner bedeuten wesentlich weniger als in den drei nächstgrößten europäischen Ländern. In Frankreich kamen 865 Personen ums Leben, im Vereinigten Königreich 923 und in Italien gar 1.013. Aber für deutsche Maßstäbe bei der Pandemie-Bekämpfung beklagt die Bundesrepublik erschreckend viele Tote. Auch bei den Neuinfektionen erreicht Deutschland mit knapp 23.700 einen neuen Höchststand.

Der Schlüssel zur Besserung liegt für RKI-Präsident Wieler in einer Reduzierung der Personenkontakte um 60 Prozent. Mit dem bisherigen Lockdown sei lediglich minus 40 Prozent geschafft worden. Werde das Ziel nicht freiwillig erreicht, müsse es laut Wieler weitere Maßnahmen geben.

Das betrifft als Erstes den Einzelhandel. Mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Apotheken, Banken, Tankstellen und weiteren Betrieben, die den täglich notwendigen Bedarf abdecken, bleiben die Läden von 27. Dezember bis 10. Jänner wohl geschlossen. In Sachsen geschieht dies bereits ab kommendem Montag. Der Freistaat verzeichnet die mit Abstand meisten Corona-Fälle gemessen an der Bevölkerungsgröße. Auch Schulen und Kindergärten schließen dort. In diesem Bereich zeichnet sich bundesweit aber noch keine einheitliche Regelung ab.

Leichter Konsens dürfte bei der Rücknahme der gelockerten Kontaktregeln zu erzielen sein. Über die Weihnachtsfeiertage und Silvester wollten Bund und Länder Zusammenkünfte von bis zu zehn Erwachsene gestatten, Kinder werden nicht einberechnet. So vereinbarten es Merkel und die Ministerpräsidenten Ende November. Bayern hat diese Regelung für Silvester bereits kassiert, maximal fünf Erwachsene aus zwei Haushalten plus Kinder dürfen zusammenkommen.

Die Bürger befürworten striktere Maßnahmen: 49 Prozent fordern diese ein, um 18 Prozentpunkte mehr als Ende November. Für rund ein Drittel ist der jetzige Teil-Lockdown angemessen, für 13 Prozent übertrieben, ergab eine Umfrage für das ZDF-Politbarometer. Merkels Kurs wird also weiter vertraut.