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"Mir geht es um meine Kinder" 

Von Ferry Batzoglou aus Drama

Politik

Warum die linksradikale Syriza auch in der nordgriechischen Provinz, einer Hochburg der Konservativen, enormen Zulauf hat .


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Athen/Drama. Die "Traumstadt", auf Griechisch "Oneiroupolis", befand sich in diesen vermeintlichen Festtagen um Heiligabend und Neujahr in Drama. Der einprägsame Name der nordostgriechischen Kleinstadt, sieben Autostunden von Athen entfernt, unweit der bulgarischen Grenze gelegen, stammt von den antiken Wörtern "Ydrama-Dyrama", was so viel wie "der mit Gewässern gesegnete Ort" bedeutet. 

An diesem bitterkalten, dafür aber sonnenüberfluteten Tag im Jänner könnte der Stadtname aber durchaus auch seiner unvergleichlich symbolkräftigeren Bedeutung, der des Trauerspiels, gerecht werden. Denn nur wenige Besucher geben sich an diesem Tag in der "Oneiroupolis", wie hier der alljährliche Weihnachtsmarkt heißt, den die lokale Stadtverwaltung zum elften Mal in Folge im Herzen von Drama organisiert, ein Stelldichein.

Das habe gute Gründe, erzählt ein Verkäufer in seinem Stand. Er bietet Süsswaren aus der Region an."Den Leuten geht es schlecht. Sie haben immer weniger Geld in der Tasche. Meine Geschäfte laufen noch schlechter als im vorigen Jahr", erzählt er. 

Ob immer höhere Steuern und Abgaben oder immer niedrigere Einkommen bis hin zur Verarmung, in die die Bewohner getrieben werden: Von einem angeblich zaghaft wieder einsetzenden Wirtschaftsaufschwung fehlt in Drama jede Spur, die Menschen spüren jedenfalls nichts davon. 

Das Bild, das sich einem hier bietet: Überall geschlossene Läden, überall prangen an den Fassaden oder in den gähnend leeren Geschäftsräumen Zettel oder Schilder. Darauf steht in knalligen Farben:"Enoikiazetai" ("Zu vermieten") oder "Poleitai" ("Zu verkaufen"). Nur: Mieter gibt es keine, Käufer auch nicht.    

Drama ist in Griechenland kein Einzelfall. Im Gegenteil. Jetzt, im auch in weiten Teilen von Hellas häufig harten Winter, bleiben die Touristen aus dem Ausland aus. Die saisonal florierende Tourismusbranche, der Grundpfeiler der griechischen Wirtschaft, der sich im vergangenen Sommer zum ultimativen Überflieger mauserte, bietet ohnehin nur in Griechenlands Süden die heiss begehrten Jobs, auch für die Saisonkräfte aus dem ganzen Land. Der Hellas-Dauerbrenner "Sonne, Sand und Meer"? In Drama sind das nur leere Worte. Hier tobt die Krise, immer noch. 

"Grexit"-Debatte lässt Griechen kalt  

Auch in einer traditionell Hochburg der konservativen Nea Dimokratia wie in der nordgriechischen Provinzstadt Drama haben nun die Linksradikalen von Syriza, bis zum Ausbruch der desaströsen Hellas-Krise nur eine Splitterpartei, die hier bei Parlamentswahlen unter drei Prozent der Stimmen auf sich vereinte, riesigen Zulauf.  

Kein Wunder: Griechenland, das Ursprungsland und Epizentrum der abrupt wieder aufflammenden Eurokrise, steht am Scheideweg. Seit dem Herbst 2008 hat die tiefe Rezession mehr als ein Viertel der griechischen Wirtschaftsleistung vernichtet. Hunderttausende Firmen gaben auf. Die Arbeitslosenrate schnellte von unter zehn Prozent im Jahr 2008 auf über 25 Prozent in die Höhe. Am härtesten trifft es die jungen Griechen. 60 Prozent sind ohne Job. Das ohnehin nur magere Arbeitslosengeld von 360 Euro pro Monat wird nur höchstens zwölf Monate gezahlt. Danach ist Schluss. Eine Grundsicherung existiert in Griechenland nicht. Es droht der totale Absturz.   

Endlich wächst die Wirtschaft wieder leicht. Doch: Immer mehr der elf Millionen Griechen sind in eine unsägliche Schuldenfalle geraten. Die Summe aus rechtskräftigen Steuerschulden, notleidenden Bankkrediten und offenen Zahlungen an die gesetzlichen Versicherungskassen dürfte Ende des frisch abgelaufenen Jahres 2014 kumuliert sagenhafte 180 Milliarden Euro erreicht haben - Tendenz weiter steigend. Dieser Betrag entspricht genau der jährlichen Wirtschaftsleistung des ewigen Euro-Sorgenlandes. Die Schuldenlast lähmt die Griechen. 

Mehr als drei Millionen Griechen stehen alleine beim hellenischen Fiskus in der Kreide. Die bittere Erkenntnis: Manövrierte sich Griechenland im Frühjahr 2010 in den faktischen Staatsbankrott, schlittern im Zuge des seither betriebenen rigiden Austeritätskurses immer mehr Griechen in die Privatinsolvenz. Und die Folgen sind fatal.  

Nach der jüngst gescheiterten Präsidentenkür finden am heutigen Sonntag Parlamentsneuwahlen in Griechenland statt. Spar- und Reformgegner Alexis Tsipras, der Wahlfavorit vom "Bündnis der radikalen Linken" (Syriza), hat beste Chancen, bald Athens nächster Premier zu sein.

Die wegen einer möglichen Syriza-Regierung plötzlich wieder aufbrechende Debatte um den sogenannten "Grexit", den Euro-Ausstieg Griechenlands, lässt die meisten Griechen diesmal aber demonstrativ kalt.

Das war bei den Doppelwahlen im Frühjahr 2012 noch ganz anders. Damals behielt die konservative Nea Dimokratia unter Premier Antonis Samaras mit knapp 30 Prozent der Stimmmen die Oberhand. Den Ausschlag gaben die Wähler, die Angst vor einem Grexit hatten. Aber: "Immer mehr Griechen haben immer weniger oder gar nichts mehr zu verlieren", sagt Georgios Papageorgiou, Kommentator der auflagenstärksten Athener Sonntagszeitung "To Proto Thema" auf Anfrage dieser Zeitung. 

Es sei nur "logisch", dass die Frage der Währung "nur noch sekundär" sei - oder "zumindest alleine als Totschlagargument nicht mehr so effektiv ziehe". Die Schwarzmalerei von Samaras und Co., wonach Syriza mit seinen Forderungen die Gläubiger-Troika vergrätzen und damit nur Griechenlands Rauswurf aus der Eurozone provozieren werde, verpufft daher bei vielen Griechen", so Papageorgiou. 

So passt es ins Bild, dass Syriza in allen Umfragen seit den jüngsten Europawahlen unisono die Nase vor der Regierungspartei Nea Dimokratia hat."Ich bin absolut sicher, dass Syriza heute mit grossem Vorsprung die Wahlen gewinnt. Wir werden die Mehrheit im Athener Parlament erringen. Die Syriza-Regierung wird eine Regierung aller Griechen sein", sagt Syriza-Spitzenpolitiker Jannis Milios gegenüber der "Wiener Zeitung".

Das sieht Dimitris Donnes, 50, Landwirt aus dem 2 000-Seelen-Dorf Nea Zichni unweit von Drama genauso (siehe Foto oben; rechts mit schwarzer Lederjacke; Foto-Credit: Ferry Batzoglou). In dem Cafe "Aplo", das die Bewohner wegen seiner häufig hitzigen politischen Debatten liebevoll "das kleine Parlament" nennen, erklärt er das Warum."Ich kassiere zwar für meine Agrarflächen jährlich 50.000 Euro an EU-Subventionen. Die Lokalpolitiker der Regierungsparteien versuchen uns einzubläuen, wir würden bei einem Syriza-Wahlsieg diese Gelder schlagartig verlieren. Andere Bauern kriegen Angst. Ich werde am 25. Januar aber erstmals Syriza wählen." 

Sein Bruder Georgios, 52, Sportlehrer an der Grundschule, nickt (siehe Foto oben: links mit sportlicher Statur; Foto-Credit: Ferry Batzoglou). Auch er, ein einstiger Stammwähler der mitregierenden Pasok-Sozialisten, werde diesmal Syriza seine Stimme geben."Ich und meine Frau, eine Hebamme, kommen trotz massiver Gehaltskürzungen gerade noch so über die Runden. Was passiert aber mit meinen Kindern?" 

Sein Sohn sei noch Student, habe aber wie alle seiner Alterskollegen miserable Jobperspektiven, seine Tochter schufte für ein mickriges Gehalt."Ich will, dass sich Griechenland verändert. Mir geht es um meine Kinder." Seine Augen funkeln, als er das sagt. Ginge es nach den Gebrüdern Donnes, dann wäre Syriza schon längst an der Macht.