Chefs kümmern sich zu wenig um Personalfragen. | Unternehmer sollten Nachfolge rechtzeitig klären. | Krise hat auch Personalberater-Branche getroffen. | "Wiener Zeitung": Haben sich durch die Wirtschaftskrise die Anforderungen an Manager wesentlich geändert? | Georg Unger: Im Grunde genommen nicht. Die Krise hat nur transparenter gemacht, was schon vorher die Anforderungen an Manager sein hätten sollen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Welche konkreten Defizite hat die Krise offengelegt?
In vielen Unternehmen wird der Rekrutierungsprozess nicht ernst genug genommen. Das beginnt leider meistens an der Spitze. Es ist die wichtigste Aufgabe eines Vorstandsvorsitzenden, darauf zu schauen, dass er das richtige Managementteam hat. Das bedeutet nicht, dass er alle Rekrutierungen persönlich vornehmen muss. Aber er sollte in alle Rekrutierungen, die Schlüsselpositionen betreffen, eingebunden sein. In besonderem Maß betrifft das die Besetzung der anderen Vorstandspositionen.
Aber die Besetzung von Vorstandspositionen ist doch eigentlich die Aufgabe des Aufsichtsrats und nicht des Vorstandsvorsitzenden.
Das ist schon richtig, aber der Vorstandsvorsitzende sollte in diesen Prozess eng eingebunden sein. Man besetzt eine Vorstandsposition nicht ohne Einwilligung des Generaldirektors - außer es sind politische Besetzungen, die es ja leider auch gibt.
Und die selten besonders gut funktionieren.
Das würde ich auch so sehen, und es gibt ja einige Beispiele, die diese Skepsis belegen. Aber das Problem, dass der Vorstandsvorsitzende nicht ausreichend in die Rekrutierung von Führungskräften eingebunden ist, besteht nicht bloß in staatsnahen Unternehmen.
Es ist oftmals so, dass die Chefs den Kopf so tief im Tagesgeschäft haben, dass sie sich nicht ausreichend darum kümmern und sich nicht die nötige Zeit nehmen, um wirklich solide Entscheidungen für die Auswahl der richtigen Leute zu treffen. Aus meiner Sicht ist es eine der wichtigsten Aufgaben eines Vorstandsvorsitzenden, sich ständig Gedanken über seine eigene Nachfolge beziehungsweise die Nachfolge seiner wichtigsten Führungskräfte zu machen.
Und auch in Zeiten wie diesen, in denen man möglicherweise auch Mitarbeiter abbauen muss, ist es vermutlich recht hilfreich zu wissen, wer die eigentlichen Leistungsträger sind.
Völlig richtig. Allerdings ist niemand davor gefeit, Fehlentscheidungen zu treffen. Die kann ich aber etwas abfedern, wenn ich weiß, dass ich ein Potenzial von Nachwuchskräften habe, die in Notfällen einspringen können.
Ich spreche jetzt ein wenig gegen mein eigenes Geschäft, aber der Chef eines größeren Unternehmens sollte ständig einen Pool an möglichen Führungskräften im Unternehmen haben, damit man rasch von innen nachbesetzen kann, wenn einmal jemand in seiner Position versagt oder aus eigenem Antrieb das Unternehmen wechselt. Die Austrian Airlines sind das Paradebeispiel für ein monolithisches Unternehmen, das Leute, die von außen kamen, in der Mehrzahl der Fälle abgestoßen hat.
Vor allem die von außen ins Unternehmen geholten Vorstandsvorsitzenden konnten nicht wirklich reüssieren.
Da sind wir wieder beim Thema politisch motivierter Besetzungen. Da ist viel, viel Schindluder passiert.
Aber ist das nicht auch eine Kritik an Ihrer Branche? Denn Besetzungen von Vorständen oder Vorstandsvorsitzenden erfolgen im staatsnahen Bereich in der Regel unter Zuhilfenahme von Personalberatern, die dann ja oft auch als Legitimation für den Auswahlprozess herangezogen werden.
Da sprechen Sie mir aus der Seele. Mir kommt manchmal das Grausen, wenn ich sehe, wie sich manche meiner Kollegen prostituieren. Man sollte sich schon überlegen, was man noch mit seinem Gewissen vereinbaren kann.
Fällt Ihre Kritik an manchen Ihrer Kollegen möglicherweise deshalb so deutlich aus, weil Sie in letzter Zeit keine Aufträge aus dem staatsnahen Bereich erhalten haben?
Man hat mir vor einiger Zeit zu verstehen gegeben, dass man mich persönlich als Personalberater zwar kennt und schätzt, dass unser Unternehmen aber im Vergleich zu Mitbewerbern wie Egon Zehnder, Heidrick & Struggles oder Spencer Stuart in Österreich noch nicht bekannt genug sei, um als Legitimation für solche Auswahlprozesse im staatsnahen Bereich dienen zu können.
Schmerzt Sie das?
Natürlich bin ich Kaufmann und muss schauen, dass mein Unternehmen funktioniert und ich ordentliche Gewinne mache. Auf der anderen Seite bin ich aber auch ein wenig
Idealist.
Ich erhalte meine größte berufliche Befriedigung dann, wenn die Leute, an deren Besetzung ich mitgewirkt habe, erfolgreich sind und auch in fünf Jahren noch in dem jeweiligen Unternehmen tätig sind.
Kunigunde Wentner von der Personalberatung Deloitte hat, als ich sie vor einiger Zeit interviewt habe, gemeint, dass die Personalverantwortlichen in Österreich zu wenig in strategische Unternehmensentscheidungen einbezogen sind.
Das ist hundertprozentig zutreffend! In Österreich wird der Human-Ressources-Bereich immer noch zu wenig ernst genommen. Es gibt in Österreich kein Unternehmen, das einen eigenen Personalvorstand hat.
Keinen, der sich ausschließlich damit befasst.
Richtig. Die Personal agenden ressortieren meist zum Vorstandsvorsitzenden, der sich aber zu wenig darum kümmert oder kümmern kann. Große deutsche Unternehmen wie Siemens, Volkswagen oder Mercedes haben hingegen explizite Personalvorstände.
Eigentlich muss der Personalverantwortliche ein Stratege sein, der in alle wichtigen Entscheidungen eingebunden ist und dem Vorstandsvorsitzenden auf Augenhöhe begegnen kann, damit er ihm gegebenenfalls auch widersprechen kann. Denn wenn ein Vorstandsvorsitzender schon länger im Amt und auch noch erfolgreich ist, dann geschieht es oft, dass sich Mitarbeiter kaum noch trauen, ihm zu widersprechen. Solche Sonnenkönig-Allüren sind für ein Unternehmen aber eine enorme Gefahr. Denn wenn der Chef von einem Tag auf den nächsten nicht mehr da ist, bricht das Chaos aus, wenn er nicht rechtzeitig ein Team aufgebaut hat, das sich ihm ebenbürtig fühlt.
Soll ein Chef einen Kronprinzen designieren?
In den USA ist es für börsennotierte Unternehmen sogar vorgeschrieben, einen Nachfolger für den CEO zu definieren. Bei uns ist das nicht der Fall und daher wird diese Aufgabe nicht ernst genug genommen.
Aber macht es wirklich Sinn, beispielsweise für einen 50-jährigen Vorstandsvorsitzenden, der sich bester Gesundheit erfreut, bloß für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass dem Chef ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, einen potenziellen Nachfolger zu designieren?
Ich halte es für sinnvoll, zwei mögliche Nachfolger zu definieren und die endgültige Entscheidung offen zu lassen. Das gibt Sicherheit für den Fall der Fälle und lässt doch eine gewisse Flexibilität. Ohne die Internas zu kennen, halte ich es beispielsweise für sehr smart, dass die Nachfolge von OMV-Generaldirektor Wolfgang Ruttenstorfer bereits ein Jahr vor seinem eigentlichen Ausscheiden aus dem Unternehmen geregelt wurde.
Allerdings beinhaltet diese Vorgehensweise die Gefahr, dass der eigentliche Chef ab dem Zeitpunkt, zu dem sein Nachfolger bekanntgegeben wird, zunehmend an Autorität verliert.
Diese Gefahr gibt es, aber aus der OMV höre ich, dass es im konkreten Fall keineswegs so ist. Das hängt aber natürlich auch sehr davon ab, ob die jeweiligen Persönlichkeiten reif genug sind, mit einer solchen Situation professionell umzugehen.
Wenn Unternehmen derzeit ihre Personalstände reduzieren und bis in die Managementebenen Mitarbeiter freisetzen, legt das die Vermutung nahe, dass die Wirtschaftskrise auch Ihrer Branche merkliche Umsatzrückgänge beschert hat?
Diese Vermutung ist nicht falsch. Die Personalberatung ist eine sehr zyklische Branche. Normalerweise ist der Geschäftsgang unserer Branche sogar ein Frühindikator für die Wirtschaftsentwicklung. Die aktuelle Krise hat uns allerdings alle kalt erwischt - da gab es keine Frühindikatoren. Man braucht sich nur die beiden großen börsennotierten Personalberatungsunternehmen Korn/Ferry und Hedirick & Struggles ansehen, die Umsatzrückgänge von bis zu 50 Prozent zu verzeichnen hatten. Und weltweit ist der Branchenumsatz vermutlich um etwa 20 Prozent zurückgegangen.
Ist der Tiefpunkt der Krise bereits überwunden?
Zaghaft. Das erste Halbjahr 2009 lief noch sehr gut. Im Sommer gab es dann eine wirkliche Trockenperiode und seit September beginnt es sich wieder zu normalisieren. Die Auftragsvergaben erfolgen aber sehr kurzfristig. Ich habe daher keine Ahnung, wie es im Jänner sein wird.
Zur PersonGeorg Unger wurde am 21. April 1953 geboren und studierte an der WU Wien Betriebswirtschaft. Seine berufliche Laufbahn begann Unger 1977 in der Elsner Beteiligungs-AG als Vorstandsassistent, danach war er ab 1980 zwei Jahre hindurch als Marketingmanager für die damalige Erste Oesterreichische Spar-Casse tätig. 1984 wechselte Unger zur Werbeagentur GGK. Von 1989 bis 1994 gehörte Unger den Vorständen der Birko Holding sowie der GGK Occidental an. Danach war er bis 2005 in Wien und London für das auf die Suche nach Führungskräften spezialisierte Beratungsunternehmen Korn/Ferry International tätig. 2006 erwarb Unger gemeinsam mit Partnern die weltweiten Personalberatungsaktivitäten der Consulting-Gesellschaft A.T. Kearney und fungierte zeitweise als Vorstandsvorsitzender der Gruppe. 2008 legte er den Vorstandsvorsitz zurück und übernahm im Rahmen eines Management-Buy-outs die Anteile der österreichischen Tochter.