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Mischwesen aus Mensch und Ratte

Von Eva Stanzl

Wissen
© Rights Managed / Mary Evans / pi

Japanische Forscher erzeugen Chimären mit dem Ziel, Organe zur Transplantation zu züchten.


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Wien. Was erlaubt ist, wird im Dienste der Wissenschaft gemacht: Japanische Forscher erschaffen Tier-Embryonen mit menschlichen Zellen, die nicht vernichtet, sondern ausgetragen werden sollen. Das Ziel ist die Züchtung von Organen zur Transplantation, berichtet das Fachmagazin "Nature".

Laut dem Bericht will der Stammzellforscher Hiromisuto Nakuchi menschliche Zellen in den Embryonen von Mäusen und Ratten heranwachsen lassen. Er und sein Team möchten Tiere mit Organen aus humanen Zellen schaffen. Hintergründe sind die Suche nach neuen Möglichkeiten, dem Mangel an Spenderorganen zu begegnen, und die Hoffnung auf Organ-Gewebe, das keine Abstoßungsreaktionen bei Empfängern von Transplantaten hervorruft. Nakuchi leitet zwei Teams an der kalifornischen Universität Stanford und an der japanischen Universität Tokio. Bewilligt wurde das Projekt von einem Komitee des japanischen Wissenschaftsministeriums. Es handelt sich um die ersten staatlich geförderten Experimente zu Mensch-Tier-Mischwesen, bei denen sich die Embryonen länger als 14 Tage entwickeln dürfen.

Austragen in "Leihmutter"

Bis zum März dieses Jahres hatte das japanische Gesetz ähnlich wie die Regelungen in manchen westlichen Industrienationen vorgeschrieben, dass Tier-Embryonen mit Menschenzellen im Dienste der Forschung nicht über ein bestimmtes Entwicklungsstadium hinaus heranwachsen und somit niemals zur Welt kommen dürften. Das neue Recht hebt die zeitliche Beschränkung auf und erlaubt das Austragen von Mischwesen in den Leiben tierischer "Leihmütter".

Zwar sind Mensch-Tier-Hybride nicht ganz neu. Auch in Ländern wie den USA werden sie zu Forschungszwecken erschaffen. Jedoch müssen sie dort zu einem gewissen Zeitpunkt vernichtet werden. Etwa erzeugte 2017 ein Team um Juan Carlos Izpisua Belmonte vom kalifornischen Salk Institute Föten aus Mensch und Schwein, indem es induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) von Menschen in Schweine-Embryonen einbrachte. Bei den Chimären, die nach drei Wochen vernichtet werden mussten, war nur eine von 100.000 Zellen dem Homo sapiens zuzuordnen. Wegen der genetischen Unterschiede hatte das Schwein die menschlichen Zellen so weit wie möglich eliminiert.

Hiromitsu Nakauchi merkte damals an, es müsse noch geforscht werden, bevor die Hybride für Organspenden nützlich sein könnten. Um dahinterzukommen, wie iPS-Zellen optimal genutzt werden könnten, müssten ihr Wirken in vielen Stadien der Schwangerschaft untersucht werden. Nakauchi will nun in einem ersten Schritt Maus-Embryonen mit menschlichen Zellen im Labor erzeugen und diese in die Gebärmutter von Mäuseweibchen einbringen. Dort sollen sie bis zum 14,5. Tag heranwachsen. Danach soll der Versuch an Ratten bis zum 15. Tag vorgenommen werden. In beiden Fällen sind die Organe zu diesem Zeitpunkt ausgeprägt (Länge der Mäuseschwangerschaft 18-23 Tage, Länge der Rattenschwangerschaft 21 bis 24 Tage.)

Den hybriden Embryonen sollen allerdings die Gene zur Erzeugung bestimmter Organe fehlen. Menschliche Gene aus iPS-Zellen sollen die fehlenden Maus-Gene ersetzen. iPS-Zellen sind im Labor reprogrammierte Körperzellen, die wie embryonale Stammzellen wieder alle Funktionen annehmen können. In den Embryonen der Nager sollen sie für die Organzellen einspringen und im Laufe der Schwangerschaft das gesamte Organ hervorbringen. In einem Testlauf hatte dies immerhin zwischen Mäusen und Ratten geklappt.

Bleiben der genetische Unterschied zwischen Mensch, Maus und Ratte eine Reihe von ethischen Bedenken. Manche Bioethiker äußern Besorgnis, dass Menschenzellen sich bis ins Gehirn der Tiere verbreiten und dort Schaden auslösen könnten. In ihrer Stellungnahme aus 2009 legt die Österreichische Bioethikkommission fest, dass keine Eizellen, mit denen Mischwesen erzeugt werden können, zu einer Schwangerschaft gebracht werden dürfen.

"Wenn es sich aber um wertvolle Forschung handelt, sollte es keine gesetzlichen Barrieren geben, solange sie allen Voraussetzungen wissenschaftlicher und ethischer Begutachtung unterzogen wird", erklärt Vorsitzende Christiane Druml. "Es geht ja nicht darum, mythische Mensch-Tier-Wesen
zu schaffen, sondern darum, mit Forschung die Organknappheit zu lösen."