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Missbrauch der Bürger

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Mach jede Wahl zu einem Stimmungstest und jeden Stimmungstest zu einer Wahl: Auf diesem erbärmlichen Niveau ist Österreichs Politik angekommen. Nicht erst heute, schon seit längerem.


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Kreisky machte - wie so oft - den Anfang, als er die Abstimmung über das ungeliebte AKW Zwentendorf mit seiner politischen Karriere verband. Die Wähler enttäuschten den Sonnenkönig, worauf auch dieser sich nicht mehr an seine Zusage gebunden sah. Seitdem ist der Missbrauch von Stimmungen zum vermeintlich höheren Zweck der Wählerstimmenmaximierung fixer Bestandteil des politischen Alltags geworden. Kreiskys Scheitern war dabei die Ausnahme, seine Nachfolger im Geiste sind diesbezüglich professioneller geworden.

Die kommenden Volksbefragungen im Burgenland und in Wien unterstreichen nur noch einmal die Pervertierung der Idee einer direkten Einbindung der Menschen durch die Parteien. Falls es dafür noch eines Beweises bedurft hätte, muss man nur auf die allgegenwärtigen Politkexperten verweisen, die ob der strategischen Raffinesse von Michael Häupl und Hans Niessl bewundernd mit der Zunge schnalzen. In Österreich ist es - abgesehen vielleicht von der EU-Volksabstimmung - noch nie darum gegangen, die Bürger objektiv über einen Sachverhalt zu informieren und ihnen dann die Entscheidung darüber zu übertragen. Stets ging es einzig und allein um Stimmungsmache für und manchmal auch gegen eine Partei. Das jeweilige Thema selbst hatte lediglich den Zweck einer Trägerrakete.

Eine Stärkung direktdemokratischer Elemente, der manche Politiker immer wieder gerne das Wort reden, klingt vor diesem Hintergrund wie eine gefährliche Drohung: Das Resultat wäre noch mehr statt weniger Stimmungspolitik - sei es auf Kosten beliebiger Minderheiten oder des gesamten Staatshaushaltes.

Die Bürger stehen dieser traurigen Entwicklung relativ hilflos gegenüber, da alle Parteien sich ihrer bedienen. Einziger Ausweg: Die Teilnahme verweigern, wenn die dahinterstehende Absicht der Parteien allzu ungeniert zum Durchschein kommt. Nichts schmerzt Politiker mehr als Missachtung durch das Volk.