Papst arbeitet an Erklärung zu pädophilen Klerikern. | Opfer leiden an Angstzuständen und Alkoholismus. | Rom/Berlin/Wien. Der Missbrauchsskandal, der die katholische Kirche derzeit erschüttert, weitet sich aus. Seit vor drei Wochen die ersten Fälle an deutschen Jesuiten-Internaten bekannt wurden, vergeht kein Tag, an dem sich nicht neue Opfer melden würden. Weit mehr als hundert Betroffene sind der Anwältin Ursula Raue derzeit bekannt. Sie ist in Deutschland von den Jesuiten eingesetzt und Anlaufstelle für die, die von Klerikern sexuell missbraucht worden sind. Wobei Raue aus dem Staunen kaum herauskommt. Ihr werden nicht nur männliche Ordensleute sondern auch Frauen als Täter genannt. Die Sache habe "eine völlig unerwartete Dimension" angenommen, erklärt die Juristin.
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Der Skandal beschränkt sich freilich nicht auf Deutschland: In Irland melden sich seit einigen Jahren immer mehr Menschen, die von Klerikern missbraucht wurden. Erst vor wenigen Tagen musste deshalb die komplette irische Bischofs-Riege in den Vatikan pilgern; auch deshalb, weil pädophile Priester auf der Insel nicht entfernt sondern nur versetzt worden waren.
Der Pontifex muss die Sünder allerdings gar nicht in Irland suchen, hat er das Problem doch direkt vor der Haustüre: Mindestens 80 italienische Priester gerieten in den letzten Jahren in Verdacht, sich an Kindern vergangen zu haben, einige Fälle wurden angezeigt und kamen vor Gericht. Auch in Österreich ermittelt die Polizei derzeit gegen einen Ordenspriester in Salzburg - und der Fall Hermann Groer ist hierzulande noch gut in Erinnerung.
Spätes Erkennen
Während viele Katholiken auf eine Erklärung des Papstes warten, hat die "Wiener Zeitung" die Psychotherapeutin Regina Lackner befragt, welche Folgen sexueller Missbrauch haben kann. Bei Kindern, sagt Lackner, könnten Übergriffe zunächst Verwirrung und Angst auslösen. Oft hätten die Opfer Schuldgefühle, da sie der Ansicht wären, am Geschehenen selbst schuld zu sein. In der Folge bestehe die Möglichkeit, dass die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit der minderjährigen Opfer massiv abnehme. Im Erwachsenenalter führt der Missbrauch häufig zu Depressionen, Angststörungen, sexuellen Störungen und Alkohol- sowie Medikamentenmissbrauch.
Bei chronischem Missbrauch würden die Opfer das Erlebte oft jahrelang ausblenden, deshalb kämen viele Fälle erst spät ans Licht. Der Kirchenkritiker Eugen Drewermann bezweifelt unterdessen, dass der Vatikan angesichts des Skandals neue Wege beschreiten wird. Die Kirche lebe im Bewusstsein, "als Institution von Gott gesetzt, vom Geist geleitet und in ihren Entscheidungen unfehlbar" zu sein, sagt der Theologe. Die Menschen hingegen seien laut katholischer Lehre schwach und könnten "mit ihren Handlungen die Heiligkeit der Kirche schwer belasten". Dieses Denken mache es "völlig unmöglich darüber nachzudenken, welche Strukturfehler im System die Fehler der Menschen provozieren müssen", weiß Drewermann.