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"Muss der Entwurf einer Vereinbarung von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds akzeptiert werden, welcher am 25.06.2015 eingereicht wurde und aus zwei Teilen besteht, die in einem einzigen Vorschlag zusammengefasst sind?"
Das ist - kein Witz! - der Text, über den die griechischen Bürger nach dem Willen ihrer Regierung am Sonntag mit "Nein" oder "Ja" (und zwar in dieser Reihenfolge) abstimmen sollen. Allein schon die Fragestellung ist eine Farce. Wahrscheinlich kennt allenfalls eine winzige Minderheit alle vorgeschlagenen Maßnahmen im Detail. Vor allem aber: Mit der Art und Weise, in der sie das Referendum inszeniert, zeigt die Regierung von Alexis Tsipras mit entwaffnender Offenheit, dass sie ohne gröbere Skrupel bereit ist, die Sorgen der Bürger für die eigenen parteipolitischen Zwecke zu instrumentalisieren.
Das ist so ziemlich genau das Gegenteil von dem, was Tsipras so pathetisch unablässig beteuert. Die sich verbreiternde Kluft zwischen Europas Eliten und Bürgern wird sich mit diesen Methoden eher nicht verringern.
Die Idee eines Referendums liegt darin, dass eine Solidargemeinschaft über eine Frage abstimmt. Doch in Griechenland werden am Sonntag zwei Gruppen von Wählern über zwei völlig unterschiedliche Dinge entscheiden: Die einen werden ihr Votum in der Überzeugung abgeben, lediglich über eine technische Streitfrage zu entscheiden: das letzte Angebot der Gläubiger; bestärkt werden sie darin von der Regierung. Für alle anderen geht es am Sonntag um eine absolute Grundsatz- und Existenzfrage: das Verhältnis Griechenlands zur EU. Und das ist auch die Botschaft, die so eindringlich von den EU-Spitzen bis Sonntag gen Hellas geschickt wird.
Zwei konträre Referenden in einem: Das mag als taktische Meisterleistung der Syriza-Regierung bewundern, wer will. Bei einem knappen Ergebnis droht der Taschenspielertrick nur Verlierer zu hinterlassen.
Die Hoffnung liegt darin, dass die Bürger das Referendum als das betrachten, was es in seiner politischen Substanz ist: ein Vertrauensvotum über ihre Regierung. Das steht vielleicht nicht auf dem Abstimmungszettel, aber darum geht es.
Doch egal, wie das Referendum ausgeht: Ab Montag beginnt die Suche nach einem tragfähigen Kompromiss zwischen dem gebeutelten Land und seinen Gläubigern von Neuem.