Endbericht über Otto-Wagner-Spital: Methoden heute unvorstellbar, aber damals lehrbuchkonform.
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Wien. Der Endbericht über die Missbrauchsfälle im Otto-Wagner-Spital in den 1960er bis 1980er Jahren ist am Mittwoch präsentiert worden: "Wir sind den Dingen ganz genau nachgegangen und mussten bemerken, dass der Umgang mit psychisch und physisch schwer erkrankten Kindern ein völliger Wahnsinn war", erklärte Susanne Drapalik, Bereichsleiterin im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) und Vorsitzende der Arbeitsgruppe, die untersucht hat, welche Zustände im Otto-Wagner-Spital geherrscht haben.
Immerhin sei der Ausdruck "Wahn- und Blödsinnige" bis 1999 ein gültiger Rechtsbegriff gewesen. Das heißt, es wurden die damals üblichen Behandlungsmethoden angewandt, die eher Misshandlung als Hilfe darstellten. Somit konnten die Mitglieder der Arbeitsgruppe "keine Anhaltspunkte für vorsätzliche, strafrechtliche Vorgehensweisen" finden, wie Drapalik erklärte.
Laut dem Bericht der Arbeitsgruppe - der nur in Form einer Presseaussendung an die Medien gegangen ist - waren etwa 50 bis 70 Patienten im Laufe der Jahre im Pavillon 15 untergebracht. Zehn Krankengeschichten sind exemplarisch ausgewählt und untersucht worden.
"So unvorstellbar es aus heutiger Sicht auch klingen mag, das Ziel der Betreuung von körperlich und geistig schwerstkranken Menschen war bis in die 1980er Jahre hinein nicht die Verbesserung ihres Zustandes, sondern die Unterbringung am Rande der Zivilgesellschaft und eine Beruhigung der Patienten durch entsprechende Medikation", hieß es am Mittwoch. Wenn jemand in der Nacht zu laut war und gestört hat, hat er laut Drapalik Valium oder Mogadon in hoher Dosierung bekommen. "Das würden wir heute natürlich nicht mehr machen, aber damals hat man geglaubt, das Richtige zu tun", so Drapalik.
Aufgearbeitet wurden laut KAV die historischen, rechtlichen und medizinisch-pflegerischen Fakten. Ebenso wurden Gespräche mit ehemaligen und Mitarbeitern und Zeitzeugen geführt, die sich bei der eigens eingerichteten Servicestelle meldeten. "Das ist mitunter auch der Grund, warum wir den Endbericht nicht veröffentlichen können", meint eine Sprecherin des KAV. Zu groß wäre die Gefahr, dass die Anonymität der Betroffenen nicht gewahrt werden könnte - das sei zumindest die Ansicht der Rechtsexperten.
Keine Entschädigung
Dass es keine Entschädigungszahlungen für die Betroffenen geben wird, habe ebenfalls rechtliche Gründe, wird erklärt. Zum einen habe es, wie bereits erwähnt, keine vorsätzlich strafrechtlichen Vorgehensweisen gegeben, wie etwa in der Causa Wilhelminenberg, wo es zu sexuellen Missbräuchen gekommen sei.
Zum anderen seien die Betroffenen Kinder von den Eltern freiwillig in den Pavillon 15 gebracht worden und hätten jederzeit wieder heraus genommen werden können. Im Gegensatz dazu seien am Wilhelminenberg die Betroffenen mit Behördengewalt eingewiesen worden. Rein juristisch gesehen erschwere das die Möglichkeit, die ehemaligen Pavillon 15-Bewohner zu entschädigen - zumal sie ab der Psychiatriereform Anfang der 80er Jahre gut versorgt wurden und mittlerweile in betreuten Wohngruppen untergebracht seien.
Aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Sonja Wehsely heißt es dazu: "Auf Basis des jetzigen Wissensstandes sind keine Entschädigungszahlungen geplant. Ein Forschungsprojekt soll aber eine umfassende zeithistorische Aufarbeitung ermöglichen, die Ergebnisse sollen dann veröffentlicht und etwaige notwendige Schlüsse gezogen werden."
Teil eines Großprojektes
Im Übrigen soll auch der Endbericht in dieses Projekt einfließen und mit dem Gesamtergebnis dann auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Vor allem gehe es aber bei dem Forschungsprojekt darum, das Otto-Wagner-Spital gemeinsam mit anderen Themen der Nachkriegspsychiatrie, die noch im Geist des Naziregimes standen, aufzuarbeiten. In diesem größeren Zusammenhang könnte demnach auch noch einmal das Thema Entschädigungszahlungen behandelt werden.