Der Ausgleich zwischen Wallonen und Flamen ist die größte Aufgabe für Philippe.
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Brüssel. Graue Haare, Brille und häufig auch die Militäruniform: dem zukünftigen König Belgiens, Prinz Philippe, sieht man schon rein optisch seinen Werdegang an. Er wurde als Kampfpilot ausgebildet und hat in Oxford und Stanford studiert. Ob ihm seine internationale Erfahrung und der Militärdienst künftig helfen werden, wird sich zeigen, denn auf den neuen König kommt nach der Abdankung seines Vaters Albert II. eine Aufgabe zu, die schwer zu bewältigen ist: ein Land, das durch Zerrissenheit geprägt ist, wenn schon nicht zu einen, dann doch zumindest zusammenzuhalten. Das Könighaus hat zwar keine realpolitische Macht, ist aber eines der wenigen Symbole für die Einheit Belgiens, das ansonsten auf kultureller, sprachlicher, wirtschaftlicher und auch politischer Ebene zutiefst gespalten ist. Albert II. fiel oftmals die Rolle des Vermittlers im Konflikt zwischen niederländisch sprechenden Flamen und französisch sprechenden Wallonen zu.
Die Wurzeln des Konflikts reichen dabei bis in die Zeit vor der Gründung des Staates Belgien im Jahr 1830 zurück. Im Zuge der Französischen Revolution wurde das Gebiet 1795 Teil Frankreichs. Nach dem Zerfall des napoleonischen Reichs wurde 1815 fast der gesamte heutige Beneluxraum zu den neuen Niederlanden vereinigt. 1830 spalteten sich Teile der Niederlande ab und der neue Staat Belgien wurde gegründet.
Die Konflikte um Kultur und Sprache, die den jungen Staat von Anbeginn begleiteten, erhielten im Laufe der Jahrzehnte auch eine immer stärkere wirtschaftliche Dimension erreichen. Denn während Wallonien bis in die 1950er Jahre das politische und wirtschaftliche Zentrum Belgiens darstellte, steht das mehrheitlich von niederländisch sprechenden Flamen bewohnte Flandern heutzutage wirtschaftlich um einiges besser da als das französischsprachige "Armenhaus". Die durch das Land verlaufende Kluft spiegelt sich auch in der Verwaltungsstruktur wider. Seit 1994 ist Belgien formal in drei Regionen unterteilt: Flandern, Wallonien und die Hauptstadtregion Brüssel. Brüssel ist zwar offiziell zweisprachig, die meisten Brüsseler sind jedoch frankophon.
Drohendes Ende Belgiens?
Auf politischer Ebene wird der Konflikt zwischen Flamen und Wallonen seit Jahren durch die Rufe nach einer Abspaltung Flanderns begleitet. An Fahrt gewonnen haben die separatistischen Tendenzen vor allem, seit die 2001 gegründete Neue Flämische Partei (N-VA) immer mehr Erfolge für sich verbuchen kann. Zuletzt war es dem Anführer der Separatistenpartei Bart De Wever im Oktober 2012 gelungen, die Kommunalwahlen in Antwerpen zu gewinnen, das davor von den Sozialisten dominiert worden war. Sein Sieg versetzte viele in Beunruhigung: Was würde passieren, wenn sich der Erfolg von De Wevers Partei, die als abgemilderte Form des rechtsextremen Vlaams Belang gilt, auf Landesebene wiederholt? Denn 2014 wird wieder gewählt und die Angst ist groß, dass danach die Staatskrise wieder zum Dauerzustand wird.
Nach den letzten Wahlen im Jahr 2010 war es über eineinhalb Jahre nicht gelungen, eine neue Regierung zu bilden. Sogar von einem möglichen Ende Belgiens war damals bereits die Rede. Im Zentrum der politischen Krise war einmal mehr der Konflikt zwischen den beiden Sprachgruppen gestanden, an dem bereits die vorherige Regierung zerbrochen war. Der Sprachenstreit reicht von Straßenbezeichnungen bis hin zum Fremdsprachenunterricht in den Schulen. Vor den Regionalwahlen 2009 hatte die Auseinandersetzung skurrile Züge angenommen und weckte bisweilen Assoziationen zum Kärntner Ortstafelstreit: Es wurde nicht mit Hilfe von Wahlplakaten gekämpft, sondern um die Plakate selbst, nämlich in welcher Sprache sie verfasst werden dürfen.
Immerhin gelang es dem frankophonen Sozialisten Elio Di Rupo, der im Dezember 2011 nach 540 Tagen eine Regierung bilden konnte, auch einen wichtigen Punkt des Sprachenstreits teilweise zu entschärften. Seither ist es für die frankophonen Bürger Flanderns möglich, bei Wahlen ihre Stimme entweder in Flandern oder in Brüssel abzugeben. Bei einem deutlich Erfolg von De Wever bei den Wahlen 2014 könnte jedoch auch das wieder zu Disposition stehen. Es wird dann am neuen König Philippe sein, die neue alte Eskalation zu verhindern.