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Es schaut so aus, als ob einige der Verantwortlichen in der Causa um unrechtmäßige Asylbescheide in einer Außenstelle des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) versucht haben, die Angelegenheit zu vertuschen. Eben weil ihnen die absehbaren Folgen bewusst waren. Statt im Wahljahr 2017 wird die Affäre um zumindest 1200 zu Unrecht bewilligte Asylbescheide der Behörde in Bremen nun eben jetzt, im Frühjahr 2018, öffentlich. Seit Tagen fördern etablierte Medien Detail um Detail der Vertuschungsaktion zutage.
Damit ist es zwar gelungen, die Affäre aus dem aufgeheizten Wahlkampf herauszuhalten. Dafür droht der Vertrauensverlust umso nachhaltiger auszufallen. Die Bürger schätzen es gar nicht, wenn man absichtlich Missstände vor ihnen verbirgt. Und noch weniger, wenn es sich dabei nicht um wahlkämpfende Parteien handelt, deren Glaubwürdigkeit ohnehin begrenzt ist, sondern um die zu Neutralität und absoluter Gesetzestreue verpflichtete Verwaltung.
Ob die jetzigen Bekenntnisse zu schonungsloser Aufklärung den Vertrauensverlust in Grenzen halten können? Kaum. Und dabei ist es irrelevant, ob die Ergebnisse einer Instant-Umfrage, laut der vier von fünf befragten Deutschen "geringes" oder "sehr geringes" Vertrauen in die staatliche Vergabepraxis von Asylbescheiden haben, mehr als eine Momentaufnahme widerspiegeln.
Was bleibt, ist: Die politische Mitte entzieht sich selbst den Boden, auf dem sie steht. Und das auch noch auf dem gesellschaftlich so umkämpften Schlachtfeld der Migrationspolitik. Aus der Causa Asylbescheide vermag jeder mittelmäßig begabte Verschwörungstheoretiker den Stoff zu destillieren, mit dem sich Misstrauen gegen jede staatliche Institution streuen lässt.
Die Affäre ist Wasser auf die Mühlen der AfD, die auch ohne eigenes Zutun von der fortgesetzten Koalition zwischen einer geschwächten Union und einer tiefenverunsicherten SPD profitiert. Es reicht nicht, wenn die deutsche Regierung in Europa als Stabilitätsanker auftritt. Sie muss zuallererst ihre eigenen Bürger überzeugen, dass sie die Kraft hat, daheim ihre Hausaufgaben zu erledigen. Dazu gehört, jenes Vertrauen in die staatlichen Institutionen bei der Bewältigung der Migrationsfragen wiederherzustellen, das im Zuge der Flüchtlingskrise so sehr gelitten hat.
Vor genau derselben Herausforderung stehen übrigens auch etliche etablierte Medien - und zwar aus den gleichen Gründen. Nun allerdings stehen eben diese Medien genau dort, wo sie hingehören: in der ersten Reihe der Aufdecker. Auf dass die Lärmmaschinen der Verschwörungstheoretiker keine weitere Chance zur Selbstvermarktung erhalten.