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Mister Perestroika ist 70

Von Rainer Mayerhofer

Politik

Moskau - Michail Gorbatschow, unter dessen Herrschaft die Welt wohl ihre bedeutendsten Änderungen der Nachkriegszeit erlebt hat, feiert heute seinen 70. Geburtstag. Als der damals gerade 54 Jahre alt Gewordene am 11. März 1985 zum neuen Generalsekretär der KPdSU gewählt wurde und damit die Nachfolge der innerhalb von zweieinhalb Jahren verstorbenen Politgreise Breschnew, Andropow und Tschernenko antrat, ahnte niemand, dass es die Sowjetunion ein paar Jahre später nicht mehr geben und der Ostblock nur mehr eine historische Erinnerung sein würde.


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Der am 2. März 1931 im nordkaukasischen Dorf Priwolnoje als Sohn eines Bauern und einer praktizierenden orthodoxen Christin geborene Gorbatschow, der bereits als 13-jähriger dem Jugendverband Komsomol beigetreten war und während seines Jusstudiums in Moskau 1952 Mitglied der Kommunistischen Partei geworden war, hatte damals bereits eine steile Politkarriere hinter sich. 1970 erstmals in den Obersten Sowjet der UdSSR gewählt, war er ab 1971 Vollmitglied im ZK der KPdSU und ab November 1978 ZK-Sekretär. Als er im Oktober 1980 Vollmitglied des Politbüros wurde, war er mit Abstand der jüngste Funktionär in diesem Gremium. Unter seinem Vor-Vorgänger Andropow organisierte Gorbatschow bereits die Ablöse korrupter Gebietssekretäre und Minister. Als er selbst die Nummer 1 der KPdSU wurde, setzte er diese Säuberungen fort und kündigte einen Rüstungsabbau an. Im Dezember 1986 holte er den seit 1980 nach Gorki verbannten Dissidenten Andrej Sacharow nach Moskau zurück.

Mit dem damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan, der die Sowjetunion eben noch als das "Reich des Bösen" gebrandmarkt hatte, traf er sich bereits im November 1985 zu einem Gipfelgespräch in Genf und im Oktober 1986 in Reykjavik, wo entscheidende Abrüstungsschritte vereinbart wurden. Diesen Gipfeln sollten weitere drei 1989 in Malta und 1990 in den USA und in Finnland folgen. Ab Mai 1988 leitete Gorbatschow den Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan ein.

Parallel zu den außenpolitischen Schritten, die im Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa und der Wiedervereinigung Deutschlands gipfelten, initiierte Gorbatschow innenpolitische und wirtschaftliche Reformen, die unter den Parolen "Glasnost" und "Perestroika" liefen. Den mächtigen langjährigen Außenminister Andrej Gromyko schob er auf das rein repräsentative Amt des Staatspräsidenten ab. Nachdem die KPdSU im Februar 1990 auf ihr Machtmonopol verzichtet und die Einführung eines Präsidialsystems beschlossen worden war, wurde Gorbatschow am 15. März 1990 zum ersten und auch letzten sowjetischen Präsidenten gewählt. Im gleichen Jahr erhielt er den Friedensnobelpreis.

Der Zerfall der Sowjetunion und ausbleibende wirtschaftliche Erfolge ermutigten die alte Garde am 19. August 1991 zu einem Putschversuch, von dem Gorbatschow auf der Krim überrascht wurde. Boris Jelzin nutzte damals die Gunst der Stunde und beerbte seinen ehemaligen Mitstreiter, der im Westen bedeutend mehr Ansehen genießt als im eigenen Land. Seit 20. September 1999 ist er nach dem Leukämietod seiner Frau Raissa verwitwet.