Als Heinrich von Pierer Anfang 2005 nach fast 13 Jahren als Konzernchef sein Büro im Siemens-Hauptquartier am Münchner Wittelsbacher Platz für Klaus Kleinfeld räumte, trug er sein Handy nur wenige Meter durch das gemeinsame Vorzimmer ins daneben liegende Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden. Selbst die Aktionärsschützer stimmten damals seinem Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats zu, obwohl sie es sonst sehr kritisch beurteilen, wenn der Vorgänger seinen Nachfolger kontrolliert.
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Aber von Pierer, "Mister Siemens", galt als einer der angesehensten Manager in Deutschland, stand wie kaum ein anderer als Kopf der alten "Deutschland-AG" da, beriet die Kanzler Schröder und Merkel, wurde 2004 sogar als Kandidat der Union für das Bundespräsidentenamt gehandelt.
Nun stürzt der 66-Jährige promovierte Jurist aus dem mittelfränkischen Erlangen doch über die Schmiergeldaffäre, die Deutschlands größten Industriekonzern seit Monaten erschüttert.
"Die prekäre Situation, in die unser Unternehmen . . . trotz seiner hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung geraten ist, hat auch mich außerordentlich betroffen gemacht", teilte er per Rundschreiben den Siemens-Mitarbeitern mit. "Betroffen machen mich aber auch die pauschalen Vorverurteilungen in der Öffentlichkeit, die oftmals ohne Rücksicht auf die Faktenlage erfolgen, und das Vorgehen einzelner Behörden gegenüber verdienten Mitarbeitern unserer Hauses.". Die "Verhältnismäßigkeit der Mittel" scheint ihm dabei "zuweilen in Frage gestellt".
Pierer führte Siemens von Oktober 1992 bis Ende Jänner 2005 als Vorstandsvorsitzender. Nach einigen schwierigen Jahren brachte er mit einem Zehn-Punkte-Programm den einst verschlafenen Industrie-Dampfer - oft spöttisch als "Bank mit angeschlossenem Elektro-Gemischtwarenladen" bezeichnet - auf weltweiten Erfolgskurs, ohne auf damals umstrittene Standbeine wie die Verkehrstechnik zu verzichten. Der Umsatz des Konzerns erhöhte sich während seiner Amtszeit von 35 auf 75 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2004/05 - obwohl sein Programm die Ausgliederung ganzer großer Sparten mit sich brachte, so etwa die der Halbleiterproduktion zur heutigen Infineon.
Dass die Siemens-Aktie am Freitag einen Sprung nach oben machte, hat aber wohl weniger mit der Erleichterung darüber zu tun, dass Pierers - zu später? - Rücktritt einen echten Neuanfang zulässt. Denn die Affäre um das System der vermutlich 420 Millionen Euro schweren "schwarzen Kassen" - von denen Pierer nichts gewusst haben will - hat die Börsianer kalt gelassen: Seit den ersten Hausdurchsuchungen der Polizei im November 2006 ist die Siemens-Aktie von 65 auf zuletzt 90 Euro gestiegen.
Der Markt dürfte eher darauf setzen, dass der der "amerikanischen Schule" zugerechnete Kleinfeld den 400.000-Mitarbeiter-Konzern jetzt noch schneller umbauen und die hohen Profitziele früher erreichen kann als mit Pierer im Büro nebenan. Seite 25