Das Militär kontrolliert die wichtigsten Unternehmen. Mittlerweile steht das Land am Nil am Rande einer Insolvenz.
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Es wird immer schwieriger, in Ägypten zu leben. Unabhängige politische Stimmen sind verstummt, der Präsident Abdel Fattah al-Sisi und seine regierenden Militärs geben den Ton an, die Positionen vor. Wer Kritik übt, landet im Gefängnis.
Doch keine Stimme reflektiert so deutlich den Zustand des Landes wie die Stimme der Wirtschaft. Zahlen können zwar geschönt werden, aber wenn die Situation derart dramatisch ist, dann sind alle Aspekte des Lebens davon betroffen.
Das ist im Moment der Fall: Die ägyptische Wirtschaft steht am Abgrund. Selbst die streng kontrollierten Medien können die Katastrophe nicht mehr verheimlichen. In einem Artikel am Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan Anfang Mai macht die amtliche Tageszeitung "Al Ahram" deutlich, wie schwierig es für alle Schichten der Gesellschaft geworden ist, über die Runden zu kommen. Verpackt in einen Aufruf zur Solidarität und gegenseitigen Unterstützung, gibt "Al Ahram" zu, dass das vergangene Jahr das schwierigste in der neueren Geschichte des Landes gewesen sei.
Pfund in freiem Fall
Das ägyptische Pfund ist in freiem Fall, Devisen sind kaum noch zu bekommen, und die Inflation schnellt in nicht gekannte Höhen. Täglich erhöhen sich die Lebensmittelpreise (Teuerungsrate März: 63 Prozent) und die Währung ist nur noch halb so viel wert wie vor einem Jahr. Basisnahrungsmittel wie Linsen, Zucker, Reis und selbst Fladenbrot sind für viele Ägypter nicht mehr erschwinglich, Eier Luxus, Fleisch ein Traum.
Auch die finanziell Bessergestellten kämpfen mit hohen Medikamentenpreisen und Schulgebühren für ihre Kinder. Es kursiere ein Witz, schreibt "Al Ahram", dass alle sozialen Schichten einen Abstieg Richtung Armut verzeichnen.
Doch der Witz ist pure Realität, wie alle Gesprächspartner bestätigen, von denen keiner namentlich genannt werden will. Ägypten bekommt kein Geld mehr, um seine Staatspleite abzuwenden, die horrenden Schulden zu bezahlen und Güter zu importieren. Dabei sind die mittlerweile 104 Millionen Einwohner dringend auf Nahrungsmittelimporte angewiesen.
Das Narrativ der Regierung über den Niedergang der ägyptischen Wirtschaft ist der Ukraine-Krieg, der die Weizenpreise ins Unermessliche getrieben habe, und die Sanktionen des Westens gegen Russland. Ägypten ist der zweitgrößte Weizenimporteur der Welt, die Ukraine der wichtigste Lieferant. Mittlerweile allerdings sind die Preise wieder gefallen und Ägypten hat andere Lieferanten gefunden, die sogar preiswerter sind als die Ukraine.
Trotzdem ist die Abwärtsspirale der Wirtschaft ungebremst. Jetzt wird der Konflikt beim Nachbarn Sudan und die Flüchtlinge für die Misere verantwortlich gemacht. Doch immer mehr Ökonomen benennen inzwischen den wahren Grund: eine verfehlte Wirtschaftspolitik der regierenden Militärs. Wie eine ehemalige Beraterin für internationale Wirtschaftsfragen im Außenministerium, Magda Shahin, im Gespräch sagt, habe die Regierung mehr als neun Monate um einen Kredit über 10 bis 15 Milliarden Dollar mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verhandelt. Bekommen habe Kairo lediglich drei Milliarden. Für weitere Milliarden fordert der IWF tiefgreifende Reformen, transparente Anreize für Investitionen, die Beseitigung bürokratischer Hürden, die Bekämpfung der Korruption und ein verlässliches Regelwerk für wirtschaftliche Entwicklung. Ohne diese Veränderungen, so Shahin, würden keine neuen Kredite vergeben.
Und dies nicht nur seitens des IWF. Auch die Golfstaaten und vor allem Saudi Arabien, größter Geldgeber in der Vergangenheit, knüpften neues Geld für Ägypten an die Bedingungen des IWF. Zu Ende sei die Zeit, als die Scheichs vom Golf großzügig ihr Füllhorn ausschütteten. Jetzt wollen auch sie genau wissen, wofür ihr Geld ausgegeben werde.
Nun sind Militärs selten gute Ökonomen. Seit der Revolution der drei Generäle 1952, dem Sturz der Monarchie und dem Ende des britischen Mandats waren in Kairo nur Militärs an der Macht mit einer Ausnahme, als der Muslimbruder Mohammed Mursi 2012 Präsident wurde. Doch seine Präsidentschaft währte nur ein Jahr. Dann putschte sein Verteidigungsminister al-Sisi gegen ihn und ließ sich mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten wählen, zog seine Uniform aus und blieb im Herzen dennoch Generalfeldmarschall.
Von Steuern befreit
Denn noch nie hatten die Militärs so viel Macht wie unter Sisi. Auch wirtschaftlich sind sie ein Staat im Staate geworden. Sie besetzen alle Sparten, produzieren alles, von Nudeln bis zum entsalzten Meerwasser, haben Hotels, Restaurants, Tankstellen und Chill-outs - Läden für Reiseproviant - stellen Fliesen her und seit Neuestem bauen sie Weizen in der Wüste an. Alles ist in ihrer Hand.
Die ausgedienten Berufssoldaten können nach Beendigung ihres Militärdienstes eine Firma übernehmen, so wie Munir, der nach zwölf Jahren in der Armee in die Immobilienbranche überwechselte und jetzt Immobilien für das Militär entwickelt. Von einer Renditekalkulation hat er nicht viel Ahnung, wohl aber vom Umgang mit Waffen.
Und noch ein Privileg für die Militärs: Ihre Betriebe zahlen keine Steuern. Das Militär nimmt uns die Luft zum Atmen, beklagte sinngemäß einer der reichsten Männer Ägyptens, Naguib Sawiris, bereits vor zwei Jahren die wirtschaftliche Lage in seinem Land. Traditionell ist die Sawiris-Familie sowohl im Bausektor als auch im Tourismus tätig, war über Jahre die Nummer eins.
Durch die enorme Expansion der Militärwirtschaft, sind private Unternehmer ins Hintertreffen geraten. Nun fordert auch der IWF mehr Privatisierung, um die Wirtschaft zu gesunden. Staatseigene Betriebe sollten verkauft werden, um Investitionen zu ermutigen. Seit 2016 ist die Rede von einem Investitionsgesetz, das auch ausländische Investitionen erleichtern soll.
Bisher ist nichts dergleichen verabschiedet worden. Präsident al-Sisi zeigt sich beratungsresistent. Unter Ökonomen und Geschäftsleuten wird spekuliert, ob er überhaupt fähige Wirtschaftsberater beschäftige. "Und wenn ja", mutmaßt ein Mitglied des Unternehmerverbands, "hört er nicht auf sie". Stattdessen baut der "Pharao" gigantische Projekte, die Milliarden US-Dollar verschlingen.
Kristalina Georgiewa, geschäftsführende Direktorin des IWF, sagte gegenüber Journalisten bei ihrem letzten Treffen mit Regierungsvertretern aus Kairo, dass die Verantwortlichen am Nil gut daran täten, ihre gigantischen Projekte zurückzustellen. "Unter den jetzigen Umständen unterminieren sie die makroökonomische Stabilität."
Hektik bei Privatisierungen
Gemeint ist al-Sisis Lieblingsprojekt einer neuen Hauptstadt, 40 Kilometer von Kairo entfernt, in die bereits Milliarden von Dollar gesteckt wurden. Gemeint sind auch die Schnellzugverbindungen zwischen Rotem Meer und Mittelmeer, die dem ICE gleich, vom deutschen Siemens-Konzern gebaut werden sollen und deren Trassen zum Teil schon liegen. Nun soll mit Hochdruck privatisiert werden. Was jahrelang versäumt wurde, muss jetzt innerhalb der nächsten Woche geschehen. Premierminister Mustafa Madbouli machte letzte Woche deutlich, dass Ägypten kein "gescheiterter Staat" sei und alle seine internationalen Schulden begleichen werde. Dass er dies öffentlich betont, zeigt deutlich den Zustand der Wirtschaft.
Mehr als zehn vom Militär kontrollierte Betriebe sollen nun in private Hände übergehen, kündigte er großzügig an. Eine Mogelpackung, kommentiert ein Mitglied des Unternehmerverbandes. Mitnichten gäben die Militärs die gesamten Unternehmen her, lediglich 49 Prozent könnten erworben werden. Das letzte Wort bliebe nach wie vor den Generälen vorbehalten.
Vom Häftling zum Vorbild
Ein privater Unternehmer indes konnte sich bereits über den Privatisierungsdruck freuen. Safwan Thabet ist mit seiner Firma Juhayna der größte Milch- und Saftproduzent Ägyptens. Zwei Jahre lang saß er mit seinem Sohn Seifeldin im Gefängnis, angeblich wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation.
Tatsächlich aber, so einige seiner Geschäftskollegen, hatte er sich geweigert, die Militärs an seiner Firma zu beteiligen, seine Unterschrift auf das vorgefertigte Protokoll zu setzen, wie es manch anderer Unternehmer tat. Fotos in den sozialen Medien zeigen nun die beiden aus der Haft entlassenen Männer, als sie zu Hause ankommen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn früher oder später die ägyptische Regierung sie als private Vorzeigeunternehmer ins Rampenlicht stellt.