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Mit aller Gewalt ganz oben bleiben

Von Gerhard Lechner

Politik

Dass Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko im Umgang mit der Opposition auf Härte bis zur Folter setzt, wurde mit dem verstörenden Video des inhaftierten Roman Protasewitsch erneut sichtbar. Wie weit geht der Machthaber noch?


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Es war ein verstörendes kurzes Video, das da am Montagabend in Minsk online ging. Schnell, allzu schnell sprach da Roman Protasewitsch in die Kamera. Der regimekritische junge Blogger, den die weißrussischen Behörden am Sonntag verhaftet hatten, wirkte, als würde er einen vorbereiteten Text ablesen. Protasewitsch versicherte, dass die Ermittler in seinem Fall "maximal korrekt" und "nach dem Gesetz" arbeiten würden. Der Mitbegründer des Portals Nexta räumte ganz im Sinne der Anklage seine Schuld an der "Organisation von Massenunruhen in der Stadt Minsk" ein. Der Telegram-Kanal wurde während der Proteste gegen Machthaber Alexander Lukaschenko im Vorjahr zur wichtigsten Informationsquelle der Opposition. Protassewitsch schied Ende 2020 bei Nexta aus.

Das Video erinnerte an jenes von Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja, die von den Sicherheitsorganen im Vorjahr ebenfalls zu einem wenig glaubwürdigen Video gedrängt wurde, ehe man ihr erlaubte, das Land Richtung Litauen zu verlassen. Tichanowskaja vermutet ebenso wie der Vater von Protasewitsch, dass der 26-jährige Regimegegner im Gefängnis gefoltert wurde. "Es ist möglich, dass seine Nase gebrochen ist", sagte dessen Vater Dmitri. Ihre Form sei anders und sie sei geschminkt. "Die ganze linke Seite seines Gesichts ist abgepudert." Tatsächlich kann man unter der Schminke Spuren von Schlägen erahnen.

Machtlos im Exil

Das Video ist nicht nur ein unbeholfener und wenig glaubwürdiger Versuch des Regimes in Weißrussland, sich vor der internationalen Öffentlichkeit zu rechtfertigen - so wie die Behauptung der Behörden in Minsk, eine Bombendrohung der Hamas habe das Ryanair-Flugzeug mit Protasewitsch an Bord zur Landung gezwungen. Es dient vor allem auch der Abschreckung von Gegnern des weißrussischen Systems. Seit das Lukaschenko-Regime Mitte August 2020 knapp daran war, die Kontrolle über die Geschehnisse im Land zu verlieren, ist rund um den Alleinherrscher von Minsk die Nervosität spürbar gestiegen. Um die Proteste, die sich über Monate hinzogen, wieder einzudämmen, haben die Sicherheitskräfte die Dosis der Gewalt immer weiter erhöht.

Ernten nach Staatsplan

Die Strategie, so plump sie auch war, ging auf: Heute ist die Opposition in Minsk ohne Kopf, die führenden Lukaschenko-Gegner sind ausgeschaltet: Tichanowskaja ist Richtung Westen geflohen, ihre Mitstreiterin Weronika Tsepkalo lebt mit ihrem Mann Waleri, dessen Antreten bei der Präsidentenwahl im Vorjahr von Lukaschenko unterbunden wurde, im Ausland. Die Dritte im Frauenbund gegen Lukaschenko, Maria Kolesnikowa, sitzt ebenso wie Tichanowskajas Mann Sergej und wie Wiktor Babariko, der aussichtsreichste unter den verhinderten Lukaschenko-Gegenkandidaten, im Gefängnis.

Die Möglichkeit, vom Exil her Einfluss auf das Geschehen in Belarus zu nehmen, sind trotz des Internets begrenzt, wie das Beispiel von Waleri Tsepkalo zeigt. Der Ex-Mitstreiter Lukaschenkos ist als ehemaliger Manager und Diplomat nicht nur landesweit bekannt, er hat in den 2000er Jahren auch das weißrussische IT-Wunder initiiert, was ihn bei jungen, liberal ausgerichteten Belarussen populär machte. Tsepkalo ist bis heute auf Telegram hochaktiv, dreht Videos und ruft zu Protesten auf. Genutzt hat es allerdings nichts: Solange der mächtige Sicherheitsapparat und der Geheimdienst KGB hinter dem Staatschef stehen und solange die Unterstützung aus Moskau anhält, dürfte sich in Weißrussland nur wenig ändern.

Lukaschenko ist es in den 1990er-Jahren gelungen, ein System zu installieren, das ganz auf ihn als Alleinherrscher zugeschnitten ist. Er regiert das Land per Dekret mithilfe der Präsidentschaftskanzlei, die seit Ende 2019 übrigens von einem Ex-KGB-Mann geleitet wird. Es gibt eine strenge Machtvertikale. Demokratische Institutionen wie etwa Stadtparlamente hat Lukaschenko entweder stillgelegt oder unter seine Kontrolle gebracht.

Das autoritäre Staatsverständnis des ehemaligen Politkommissars der Roten Armee zeigt sich auch in der Wirtschaft: Mit marktwirtschaftlichen Elementen wie freier Preisbildung oder Wettbewerb hat Lukaschenko stets gefremdelt. Der Umstand, dass es mit der Privatwirtschaft etwas gibt, das sich nicht kontrollieren lässt, machte Lukaschenko Öffnungsschritten gegenüber stets misstrauisch. Selbst für das Einbringen der Ernte, anderswo ein Routinevorgang, der nicht sonderlich interessiert, wird wie zu Sowjetzeiten ein staatlicher Einsatzplan erstellt. Dieser Drang zum Interventionismus hat auch zur Folge, dass sich der kleinste Fehler mittels der belarussischen Machtpyramide ungebremst nach unten ausbreitet.

Politik der Abschreckung

Dennoch heißt das nicht, dass sich im Machtapparat - auch im Sicherheitsapparat - nur treue Anhänger Lukaschenkos mit Sowjet-Prägung befinden. Dies schon deshalb nicht, weil das Prestige der Sicherheitskräfte im Vergleich zu Sowjetzeiten niedriger ist und die Bezahlung nicht allzu hoch. Die besten Köpfe in Minsk wandern heute in den IT-Bereich.

Auch die Sicherheitskräfte sind kein monolithischer Block: So diente Roman Bondarenko, der 2020 von Lukaschenko-Anhängern erschlagen worden war, ursprünglich in einer regimenahen Einheit des Innenministeriums. Auch auf seinen Apparat kann sich Lukaschenko also nicht zu hundert Prozent verlassen - Aktionen wie die gegen Protasewitsch dienen auch hier der Abschreckung.