Zum Hauptinhalt springen

Mit Berger gegen Trump

Von WZ-Korrespondentin Nicole Hofmann

Politik

1918 wurde dem österreichischen Emigranten Victor Berger mit einem Verfassungszusatz aus der Bürgerkriegszeit der Einzug in den US-Kongress verwehrt. Nun wird diskutiert, ob der Passus nicht auch auf Ex-Präsident Trump angewandt werden kann.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Als Staatsanwalt Jeffrey Nestler vor die Geschworenen tritt, hat er auch ein kurzes Video mitgebracht. Zu sehen ist darauf, wie Mitglieder der rechtsextremen Miliz Oath Keepers am 6. Jänner 2021 in Kampfmontur das Kapitol in Washington stürmen. "Sie sind nicht zum Kapitol gekommen, um zu verteidigen oder zu helfen. Sie sind gekommen, um anzugreifen", sagt Nestler in seinem Eröffnungsplädoyer. Das Ziel von Milizgründer Stewart Rhodes und seinen Mitstreitern sei es gewesen, sich "gewaltsam der Regierung der USA entgegenzustellen".

Konkret sind Ex-Soldat Rhodes und seine vier Gefolgsleute wegen "aufrührerischer Verschwörung" angeklagt. Der in dieser Woche begonnene Prozess ist der erste zum Kapitolsturm, in dem es um diesen schwerwiegenden Anklagepunkt geht. Befinden die Geschworenen die Mitglieder der Oath Keepers für schuldig, drohen den Männern bis zu 20 Jahre Haft. Anfang September war der ehemalige New Yorker Polizist und US-Marine Thomas Webster zur höchsten bisher verhängten Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden, weil er mit einer stählernen Fahnenstange einen Polizisten schwer verletzte.

Kandidatur trotz Verurteilung

Insgesamt sind im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol bereits mehr als 140 Personen verurteilt worden. Ob Ex-Präsident Donald Trump, der die Massen am 6. Jänner dazu motiviert hatte, in Richtung Kapitol zu ziehen, selbst strafrechtlich wegen Anstiftung oder Beteiligung an dem Aufstand angeklagt oder verurteilt wird, ist derzeit noch unklar. Die Anzeichen, dass das passieren könnte, verdichteten sich aber zuletzt, als zahlreiche Durchsuchungen und Beschlagnahmungen bei Trump-Vertrauten in der Sache durchgeführt worden waren.

Doch wie könnten sich Trumps juristische Probleme auf eine neuerliche Kandidatur und Wiederwahl als Präsident 2024 auswirken? Grundsätzlich hindert in den USA eine strafrechtliche Verurteilung niemanden an einer Präsidentschaftskandidatur, obwohl gleichzeitig über fünf Millionen US-Bürger aufgrund einer solchen Verurteilung selbst nicht aktiv wählen dürfen. Ein Effekt der verdichteten Ermittlungen könnte daher sein, dass Trump sein erneutes Antreten zunehmend offiziell macht, um während der Kandidatur juristische Konsequenzen zu verzögern und im Fall einer Wiederwahl die Vorteile seines Amtes zu nutzen.

Dieser Strategie könnte allerdings der dritte Abschnitt des 14. Verfassungszusatzes entgegenstehen, der nach einem viele Jahrzehnte währenden Dornröschenschlaf nun auf einmal wieder lebhaft in Washingtoner Politkkreisen diskutiert wird. Denn laut dem dritten Abschnitt sind Personen von Ämtern ausgeschlossen, die zuvor als Amtsinhaber auf die Verfassung vereidigt wurden, diesen Eid aber dann durch Teilnahme an einem Umsturzversuch beziehungsweise durch Beihilfe dazu gebrochen haben.

In die Verfassung aufgenommen wurde dieser Passus nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Mit ihm sollte verhindert werden, dass die Südstaaten jene Konföderiertengeneräle in den Kongress schicken, die zuvor Krieg gegen eben jene Verfassung geführt hatten. Angewandt wurde der Abschnitt zwischenzeitlich aber nur einmal, und zwar 1918 gegen den österreich-ungarischen Emigranten Victor Luitpold Berger.

Berger war 1878 als 18-Jähriger gemeinsam mit seinen Eltern über Wien nach Amerika emigriert. In den USA ließ er sich in der von deutscher und österreichischer Einwanderung geprägten Stadt Milwaukee in Wisconsin nieder, wo er zunächst Deutsch unterrichtete, bald aber hauptsächlich als Journalist und Politiker tätig war. Berger war Gründungsmitglied der Socialist Party of America, die jahrzehntelang die Bürgermeister von Milwaukee stellte, und wurde 1910 als erster Sozialist ins US-Repräsentantenhaus gewählt. Dort brachte Berger erfolglose, aber viel beachtete Initiativen zur Abschaffung des Senats und - als erster Gesetzesvorschlag dieser Art - für eine allgemeine Pensionsversicherung ein.

Als die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, wurde der Espionage Act verabschiedet, der auch sicherstellen sollte, dass die Rekrutierungsbemühungen für die US-Armee nicht durch "volks- und kriegsfeindliche illoyale Propaganda" gestört würden.

Berger schrieb entsprechend der Parteilinie der Socialist Party dennoch leidenschaftlich gegen den Krieg an. Seine neuerliche Kandidatur 1918 versah er mit dem Versprechen: "Ich fordere und werde alles dafür tun, dass alle amerikanischen Truppen aus Europa abgezogen werden." Er wurde daraufhin wegen Feindbegünstigung nach dem Espionage Act angeklagt. Als Berger dennoch von seinem Wahlbezirk in Wisconsin ins Repräsentantenhaus gewählt wurde, wandte dieses den dritten Abschnitt des 14. Verfassungszusatzes gegen ihn an und erklärte den Kongresssitz für vakant.

In den vom Antikommunismus der "First Red Scare" und dem Krieg gegen Österreich und Deutschland geprägten USA war das auch ein Mittel, um den deutschsprachigen Sozialisten Berger aus dem Kongress zu drängen. Bei der daraufhin stattfindenden außerordentlichen Wahl in seinem Wahlbezirk ging Berger aber wieder als Sieger hervor. Doch auch diese Wahl wurde aberkannt. Der Sitz blieb daraufhin vakant und Berger wurde 1919 wegen seiner Reden und Artikel gegen den Krieg zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Urteil wurde 1921 im Fall "Berger vs. United States" vom Supreme Court aufgehoben, und Berger vertrat seinen Wahlbezirk Milwaukee wieder von 1923 bis 1928 im Kongress, wo er sich unter anderem leidenschaftlich für das Ende der Prohibition einsetzte.

Trump-Anhänger verurteilt

Über hundert Jahre danach ist der dritte Abschnitt des 14. Verfassungszusatzes nun erneut Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen. Ein Landesgericht in New Mexico bestätigte Anfang September ein Urteil, mit dem Couy Griffin, der Gründer von "Cowboys for Trump", seines Postens als County Commissioner mit sofortiger Wirkung enthoben worden ist. Griffin war zuvor strafrechtlich für die Teilnahme am Sturm auf das Kapitol verurteilt worden, bei dem er den Angriff stolz vor laufenden Kameras gerechtfertigt hat, um anschließend den Mob bei seinen Attacken auf Polizisten anzufeuern.

Gleichzeitig hat ein Landesverwaltungsgericht in Georgia allerdings eine ähnliche Klage gegen die wortstarke und medial omnipräsente republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Green abgewiesen und lässt damit zu, dass sie bei den Midterm-Wahlen am 8. November auf dem Stimmzettel stehen wird.

Ob der dritte Abschnitt des 14. Verfassungszusatzes für die Verhinderung einer neuerlichen Präsidentschaft von Trump tatsächlich herangezogen wird und wie erfolgreich ein solches Vorhaben - auch angesichts der Zusammensetzung des Supreme Courts - wäre, ist derzeit noch völlig unklar. Fox-News-Anchorman Tucker Carlson sieht darin wie viele Republikaner Politjustiz, Verletzung des Rechts auf Redefreiheit und Missachtung des Wählerwillens.

Aber auch liberale Experten und Expertinnen raten zur Vorsicht. Einerseits müsse die Verfassung "Trump-sicher" gemacht werden, andererseits stehe der dritte Abschnitt des 14. Verfassungszusatzes in einem Spannungsverhältnis zum Recht auf Redefreiheit und auf verfassungskritische politische Betätigung, kommentiert etwa der aus Milwaukee stammende liberale Gründer des Nachrichtenportals "The Bulwark", Charly Sykes, im Zuge einer Fernsehdiskussion. Wenn die Waffe einmal gezogen sei, könne sie auch in die falschen Hände geraten, wodurch die Wiederbelebung dieser Bestimmung zukünftig auch für progressive Kräfte gefährlich werden könnte. Wie schnell das gehen könne, zeige sich nicht zuletzt im Fall von Victor Luitpold Berger, dem verdienstvollen und immer noch hochrespektierten Sohn von Sykes Heimatstadt Milwaukee.