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Mit biederer Zunge

Von Walter Hämmerle

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Mit Zitaten von Klassikern warfen vor gar nicht noch allzu langer Zeit Politiker in ihren öffentlichen Reden nur so um sich. Damit ist es längst vorbei. Leider.


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"Sekt ist ein Getränk der Arbeiterklasse, wenn es von ihren Funktionären getrunken wird." Mit diesem Zitat des brillanten deutschen Spötters Kurt Tucholsky (1890 bis 1935) ließ kürzlich Andreas Khol im ORF seine Kritiker höchst elegant ins Leere laufen.

Der altgediente Polit-Haudegen und aktuelle Seniorenpolitiker ist einer der letzten jener aussterbenden Sorte von Politikern, die mit ihrem humanistischen Bildungsgut mit Lust und Wucht in ihrer öffentlichen Rede um sich werfen: Egal, ob Cicero, Aulus Gellius ("Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit"), Shakespeare, Goethe, Schiller, Tolstoi oder eben Tucholsky - mit der Kraft ihrer Formulierungen lässt sich das höchste Ziel eines Politikers höchst effizient verwirklichen: Den eigenen Worten Nachdruck und Gehör zu verschaffen.

Die aktuelle Politikergeneration kann, so hat es jedenfalls den Anschein, mit dieser Liebe für Entlehnungen aus den Klassikern eines zum Untergang verurteilten Bildungskanons wenig bis gar nichts mehr anfangen. Um sich im Gedächtnis ihres Publikums zu verankern, greifen sie stattdessen zu plumpen Wortwiederholungen ("Jobs, Jobs, Jobs" - Copyright Viktor Klima), biederen Sprachbildern ("in Stein gemeißelt") oder der Fetischisierung von scheinbar aussagekräftigen leeren Worthülsen ("reformieren", "sanieren" - und das am Liebsten auch noch "gemeinsam").

In der derzeit aktiven Politikergeneration ist Josef Cap einer der Letzten, der noch wie Khol klassische Zitate in seine öffentlichen Reden einwebt, allenfalls auch noch Michael Häupl, allerdings driftet Wiens Bürgermeister nicht selten ins derbe Fach ab.

Warum solch rhetorische Kunstgriffe für Politiker keinesfalls verlorene Liebesmüh sind, bringt Khol auf den Punkt: "Das Zitieren von Formulierungen aus der klassischen Literatur verschafft eine gewisse Legitimation, es steigert die Glaubwürdigkeit, wenn man berühmte Persönlichkeiten aus der Vergangenheit hervorholt. Und außerdem sind hier wunderbare Sager zu finden."

Dass es mit diesem Stil vorbei sein könnte, will Khol nicht wirklich glauben: "Es wachsen sicher wieder junge Leute nach, die dieses Bildungsgut in sich aufsaugen, denn es ist ein großes persönliches Vergnügen, sich die Klassiker zu Gemüte zu führen. Nur leider wird heutzutage viel zu wenig gelesen, früher war das aber auch leichter: Als ich jung war, gab es noch keinen Fernseher." Von all den anderen technischen Hilfsmitteln, die freie Zeit zu verbringen, gar nicht zu reden.

Pisa ist nur die Spitze des Eisbergs unserer Bildungsmisere.