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Griechenland und Frankreich: zwei Wahlen, zwei siegreiche Parteien - und zwei völlig unterschiedliche politische Kulturen. Diese führen denn auch dazu, dass sich nur in einem Land die künftige Regierung auf ein klares parlamentarisches Mandat stützen kann.
Natürlich kann man sich auf den Standpunkt zurückziehen, dass Wahlgesetze nationale Sache sind und die Franzosen nun einmal bei Parlamentswahlen ein persönlichkeitsorientiertes Mehrheitswahlrecht und die Griechen eben ihr mehrheitsförderndes Verhältniswahlrecht bevorzugen. Aber was ist im Europa von heute überhaupt noch eine nationale Angelegenheit . . .
Wahlen sollten - neben ihrer Rolle als sinnvolles Ventil für überschießende Emotionen - tunlichst den Zweck erfüllen, einer Regierung auf Grundlage des Wählerwillens das Regieren zu ermöglichen. Gar nicht zu erleichtern, nur zu ermöglichen.
Welches System sich dafür am besten eignet, lässt sich nicht dekretieren. Diesbezüglich gibt es also schlicht kein Richtig oder Falsch, sondern nur - in Bezug auf die anschließende Regierungsbildung - die Frage: effizient oder ineffizient?
Für Frankreich steht - einer ehemaligen Großmacht durchaus angemessen - die Pragmatik der Macht im Vordergrund. Entsprechend werden hier die extremen Ränder, die im repräsentativen Modus gemeinsam auf rund 30 Prozent der Stimmen kämen, im Mehrheitsprozedere auf die Rolle irrelevanter Statisten reduziert. In Griechenland, das sich zeit seiner neuzeitlichen Geschichte davor sorgt, überrollt zu werden, kommen die Radikalen auf fast 40 Prozent - im Parlament wohlgemerkt. Das macht jede Regierungsarbeit zur prekären Gratwanderung, zumal sich die Radikalen jedem Versuch einer Einbindung in die Verantwortung zu entziehen trachten.
Das Problem Griechenland ist, dass es nicht nur seine Wirtschaft, sondern auch seine Demokratie von Grund auf erneuern muss. Und beides gleichzeitig sollen jetzt ausgerechnet die beiden alten Systemparteien bewerkstelligen, die von den Bürgern als hauptverantwortlich für die Krise wahrgenommen werden.
So gesehen kann man verstehen, dass das Aufatmen in Europa deutlicher zu vernehmen ist als in Griechenland selbst.